Der Brunstkalender

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Titel und Covergestaltung lassen auf oberflächlich-alberne Chicklit schließen. Wie angenehm, während des Lesens feststellen zu dürfen, das das Buch deutlich mehr Tiefgang hat, als die Äußerlichkeiten vermuten lassen. Ich fürchte nur, dass der Verlag damit einige Fehlkäufe heraufbeschwört. Der Originaltitel "Brunstkalender" wäre auch im Deutschen passender und witziger gewesen, immerhin geht es um einen Bauernhof mit Milchwirtschaft und Kälberzucht sowie um eine kinderlose Frau, die quasi auch einen Brunstkalender führt. Vom Inhalt her ist es ein netter Familienroman: Die drei erwachsenen Töchter des Bauernehepaars Irene und Rolf leben ihr eigenes Leben fernab des elterlichen Hofs. Sie sind in ihren Charakterzügen so unterschiedlich, dass sie sich wohl nie kennen gelernt hätten, wenn sie nicht in derselben Familie aufgewachsen wären. Jede hat ihre eigenen Sorgen und Probleme, die erstmals bei einem Kindergeburtstag aufeinander prallen, mit dem Tod des Vaters aber bei allen Frauen (Mutter Irene und Töchter Åsa, Lena und Marie) zu einer Lebenskrise mutieren. Der Stil ist flüssig und zeitgemäß, auch wenn ich mich wirklich nicht mit der Gegenwartsform bei Romanen anfreunden kann. Die Autorin wechselt je nach im Mittelpunkt der Handlung stehenden Personen das Tempo und die Formulierungen, nette Idee! Ich zitiere aus meinem Leseeindruck \>\>\>schnipp\>\>\> Das Kapitel zu Lena ist eine typische Familiensituation mit gestresster Mutter, abwesendem Vater, chaotischen Kindern und vielen Haustieren. Entsprechend durcheinander ist auch der Schreibstil. Marie ist Bardame, sie ist nur an Äußerlichkeiten wie Lippenstift und Zurschaustellung ihrer Brüste interessiert. So oberflächlich und kurz angebunden Gespräche in einem solchen Umfeld sind, so abgehackt und kurzatmig ist auch der Schreibstil dieses Kapitels. Langweilig fand ich besonders die Beschreibung von Åsa. Was interessiert mich das Leben einer stinkreichen, schüchternen IT-Spezialistin? Dieser Familienroman ist weit von "Friede, Freude, Eierkuchen" oder "Bullerbü für Erwachsene" entfernt, wie es der Waschzetteltext vermuten lässt. Die handelnden Personen sich realistisch gezeichnet, jedes Verhalten ist so gut nachvollziehbar, dass ich mitunter bei einem Streit großes Verständnis für beide Parteien hatte oder sogar dachte, die Autorin beschreibe mich selbst. Bei allen tragischen, traurigen und turbulenten Vorgängen gibt es auch urkomische Elemente. Ich denke da an eine Szene, in der Robert nach einer heißen Sexnacht mit heruntergelassener Hose auf dem Teppich einschläft und in eben diesem Zustand am nächsten Morgen beim Aufwachen in die neugierigen Gesichter seiner drei Kinder blickt, die wissen wollen, ob er in der Nacht den Weg zur Toilette nicht mehr gefunden hat. Angenehm ist das offene Ende in Bezug auf die Liebesbeziehungen der drei Schwestern, alles andere wäre mir zu kitschig gewesen. Mein Fazit: Auf der Suche nach dem Glück muss man erst ganz tief fallen oder einen schweren Verlust erleiden, um die Kraft zu haben, neu anzufangen und das Leben zu meistern.