Ein Trauerjahr

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maenade Avatar

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Die Ich-Erzählerin fängt wieder an zu laufen. Offenbar hat sie das früher schonmal gemacht, offenbar hat sie es lange nicht mehr getan. Nun ist er, ihr Lebenspartner, seit ziemlich genau einem Jahr tot, freiwillig aus dem Leben geschieden, hat sich umgebracht, sich das Leben genommen. Die Protagonistin tut sich schwer mit alledem, findet keinen Platz für ihre Trauer, keine Worte, und sucht sich im Laufen ein Ventil. Dabei denkt sie nach. Anfangs ist ihr Gedankenfluss oft unterbrochen von "ich kann nicht mehr". Man merkt richtig, wie ihr beim Laufen die Luft fehlt. Die Gedanken kreisen um ihn, "Dich".
Das Buch begleitet die Erzählerin für ein Jahr und zeigt nur ihre Gedanken beim Laufen, die sich nach und nach weiten dürfen, wie ihr Atem, wie ihre Laufstrecke. Aus der bloßen Trauer und Verzweiflung, dem "was soll ich tun?" wird langsam Wut, wird "wie konntest du?", wird "wie konnte er?". Die Themen werden breiter, wir erfahren mehr über ihre Freundinnen, über sie selber, über seine und ihre Familie, nach und nach ergibt sich ein Bild, das gleichzeitig detaillierter wird, aber auch verschwommener, weil das auslösende Ereignis langsam in die Vergangenheit rutschen darf.
Ich finde, Isabel Bogdan ist ein sehr schönes Buch gelungen. Eins, das die Innensicht einer Frau in einer sehr schweren Situation überzeugend nahe bringt. Der Titel Laufen hätte mich ja fast abgeschreckt, das ist so gar nicht meine Sportart, aber Laufen ist eben doch eine Tätigkeit, bei der die Gedanken so fließen können, wie sie es hier tun. Das Buch ist sehr reduziert, auf die Gedankenwelt dieser einen Person, auf die Momente des Laufens, aber das ist eine sehr schöne Reduzierung, die wie eine Lupe die inneren und äußeren Veränderungen der Erzählerin in den Fokus nimmt und vergrößert. Die nicht verschweigt, aber dann doch immer wieder überrascht, weil man mit manchem nicht gerechnet hätte. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das letzte Wort dann nochmal so ergreift.
Schön.