Einatmen, ausatmen, ausatmen

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petris Avatar

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Das Buchjahr 2019 ist wirklich ein interessantes Jahr, so viele Titel, auf die ich mich gefreut hatte und die mich dann enttäuscht haben, aber mindestens so viele Romane, die ich gar nicht lesen wollte und die mich dann berührt und begeistert haben! „Laufen“ zählt zu diesen Überraschungsbüchern. Mir gefiel das Cover, der Klappentext klang gut, die Autorin hatte mit ihrem ersten Roman „Der Pfau“ (den ich noch nicht gelesen habe) viel Erfolg gehabt, doch dann las ich eine Leseprobe und vorbei wars mit der Begeisterung. Das Buch wurde von meiner Wunschliste gestrichen. Als dann immer mehr positive Besprechungen von Menschen, deren Lesegeschmack ich teile, erschienen, wunderte ich mich. Und gab „Laufen“ noch eine Chance.

Was für ein Glück, denn es hat mir großartig gefallen, mich sehr berührt, mit Spannung bin ich mit der Protagonistin mitgelaufen, habe sie in ihrem Alltag begleitet und mich gefreut, dass es ihr langsam, Schritt für Schritt wieder besser ging.

Der Protagonistin ist das Schlimmste widerfahren, was man sich vorstellen kann, ihr Lebenspartner hat Selbstmord begangen. Ein Jahr danach hat sie ihren Alltag wieder im Griff, doch die Lücke, die ihr Partner hinterlässt, die Schuldgefühle, die Trauer,… sind noch schwer zu ertragen, sie beschreibt sie als Friesennerz, der ihr die Bewegung erschwert und den Atem raubt. Zum Glück hat sie liebe Freunde, einfühlsame Musikerkollegen*innen, eine patente Therapeutin und einen netten Bruder. Doch sie alle können ihr den Trauerprozess nicht abnehmen. Etwa ein Jahr nach dem Suizid beginnt sie wieder zu laufen. Von Lauf zu Lauf wird sie fitter, aber auch die Trauer kann sie langsam, Schritt für Schritt immer besser bewältigen.

Man liest hier einen traurigen, aber hoffnungsvollen Roman, bei dem man ganz viel über Trauer erfährt, auch darüber, was ein trauernder Mensch braucht. Jede*r, der*die schon jemand verloren hat, wird sich in ganz vielen Szenen wiederfinden.
„Frau Mohl (die Therapeutin, Anm.) sagt, Trauern sei etwas Körperliches und es sei kein Wunder, dass ich erschöpft bin.“ S.137
„Wieso können manche Leute einen nicht einfach traurig oder wütend sein lassen, Ratschläge helfen doch nicht, bis auf die von Frau Mohl, aber die ist Profi.“ S.170
„…verrückt, dass ein Loch so schwer sein kann, da ist doch gar nichts, nur ein Mangel.“ S.192

Das Buch endet zwei Jahre nach dem Verlust ihres Partners. Traurig, aber hoffnungsvoll. Ein perfekter Schluss.
„Einatmen. Zwei Jahre nächste Woche. Ausatmen. Zwei Jahre ohne ihn. Ausatmen. Er wird immer bei mir sein. Johann.“ S.198

Mich hat der Roman sehr berührt, gleichzeitig habe ich ihn mit großem Vergnügen gelesen. Eine schöne Geschichte, wunderbar erzählt. Wie gut, dass ich ihr am Ende doch noch eine Chance gegeben habe!