Klingt und klingt nach - Traurig, trostreich, sympathisch, aufmunternd

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Isabel Bogdan nähert sich in „Laufen“ einem schweren Thema, einem schrecklichen Schicksalsschlag auf eine besondere Weise. In ihrem Buch nimmt sie uns LeserInnen mit zum Laufen und lässt uns dabei teilhaben an den Gedanken einer Frau, die ein Jahr nach dem Tod ihres Partners versucht, endlich wieder Boden zu gewinnen.

Das ist alles andere als heiter. Aber Isabel Bogdan schreibt klug und sensibel, und gleichzeitig so natürlich und leicht, dass man sich hier jederzeit gut aufgehoben fühlt.

Die Geschichte umfasst einen Zeitraum von einem Jahr. Erzählt wird sie – für mich zunächst ungewohnt – in einer Art stetem Gedankenstrom, der hin und wieder Zeitsprünge erahnen lässt, in denen sich Dinge im Leben der Hauptfigur verändert haben.

Die Hauptfigur, das ist eine um die 40 Jahre alte Hamburger Profimusikerin. Ihren Namen erfährt man nicht. Wohl aber, dass vor etwa einem Jahr etwas passiert ist, das sie komplett aus der Bahn geworfen hat. Deshalb beginnt sie zu laufen. Das Laufen fällt anfangs schwer, ist ein echter Kampf und steht damit synonym für die Situation der Frau, die uns Stück für Stück an das große Drama ihres Lebens heranführt.

Auf welche Weise ihr Freund gestorben ist, was das in ihr ausgelöst hat und wie es ist, sich nicht mehr ganz, sondern nur noch halb zu fühlen, das erfährt man auf 208 Seiten, auf denen der Rhythmus des Laufens Stimmungen und Gedanken reflektiert, sie immer wieder durchbricht, verstärkt und sich letzten Endes gleichmäßig dem Lebenstakt der Frau anpasst. Das ist ganz wunderbar erdacht und umgesetzt!

„Laufen ist super, so schön stumpf, man muss gar nicht denken, ich kann sowieso nur über das Laufen nachdenken und über meinen Körper […], ob ich noch kann, und wenn ja, wie weit, und ob mir gerade etwas wehtut, oder was am meisten wehtut, als wüsste ich nicht, was am meisten wehtut, aber beim Laufen tut endlich der Körper weh…“ (Zitat, S. 7)

Der Ton der Geschichte ist – sieht man einmal davon ab, dass man es von der ersten bis zur letzten Seiten mit einem Monolog zu tun hat – zugänglich, bodenständig und in keiner Weise gekünstelt. Isabel Bogdan macht die ganze Bandbreite der Gefühle greifbar. Wut, Neid, Erschöpfung, Einsamkeit, Sehnsucht, aber auch Dankbarkeit und Freude. Und auch die Anstrengung des Laufens, die immer wieder einfließt, kann man regelrecht spüren.

Hin und wieder blitzt Humor auf. Eben noch in Erinnerungen gefangen, regt sich die Erzählerin plötzlich (und total nachvollziehbar für jeden Hobbyläufer) über den verbissenen Spurter auf, der sie ständig überholt. Sie beobachtet, tagträumt, ärgert sich, berichtet von kleinen Gesten guter Freunde, Gesprächen mit ihrer Therapeutin. Und tastet sich auf diese Weise ins Leben zurück.

Ich bin unsicher, ob ich das Buch Menschen empfehlen soll, die akut eine schwere Krise durchleben. Triggert oder tröstet die Geschichte, wenn Leid noch ganz frisch und unverarbeitet ist? Ich persönlich habe glücklicherweise keinen schlimmen Verlust erlitten, aber natürlich schon Leidvolles erlebt und kann ohne Übertreibung behaupten, viel Positives aus dem Buch mitgenommen zu haben. Es war ein Highlight für mich. Ganz sicher werde ich es noch einige Male verschenken, wenn auch gut überlegt. „Laufen“ hatte für mich – obwohl nicht gehört, sondern gelesen – einen eigenen Klang, der mich durch die Seiten getragen hat. Traurig an vielen Stellen. Aber auch sehr sympathisch und aufmunternd.