Laufend gut

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ben01 Avatar

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Eine Musikerin läuft um ihr Seelenleben. Sie muss den Verlust ihres Lebensmenschen verschmerzen, seine kaum trauernden, aber sehr besitzergreifenden Eltern ertragen, sich mit dem reduzierten Dasein arrangieren, das sie jetzt in neuer Weise stark fordert. Anfangs zaghaft, rasch aufgeben wollend, treibt sie sich selbst an, Meter um Meter, immer mit dem Atem-Mantra vor Augen: ein ein aus aus aus aus. Denn so beginnt die erste Seite: "Ich kann nicht mehr."
Sie waren nicht verheiratet, doch der Begriff "Witwe" und die Achtung vor der Hinterbliebenen könnten hilfreich zum Trost beitragen. So aber nehmen die Eltern des Verstorbenen all seinen Besitz an sich, auch wenn sie nichts damit anfangen können. Ein würdeloses Schachern um Mein und Sein nimmt allzu viel Raum ein.
Wut, Trauer, Resignation, Zorn, Liebe, die Zuneigung zur Musik, Selbstvorwürfe, Dankbarkeit ihrer Freundin Rike gegenüber, Humor-Anklänge, manchmal Freude, wenn auch als Verrat empfunden: Die ganze Palette der Gefühle zieht in Erinnerungsfetzen an ihr vorbei, teils noch frisch, teils in liebendem Gedenken.
Denn der Geist nimmt während des Laufens seine eigenen Wege. Daneben vermitteln die Augen der Läuferin, was vornezu an ihnen vorbeizieht. Die Trauer ufert aus, be- und verarbeitet das Geschehene. Das muss wohl so sein, um die Frau wieder zu sich selbst zu führen. Die Seele gesundet durch die Anstrengungen des Körpers: "Mens sana in corpore sano."
Ein durchgehend innerer Monolog, ohne jeden Dialog, ohne wörtliche Rede mag manchem eintönig, weitschweifig, gar zeitraubend erscheinen. Hier wird dieses Langatmige im doppelten Sinn zum Kompliment. Die namenlose Läuferin hat sich in mein Herz gelaufen. Wie der Tote hiess, erfährt der Leser ganz am Schluss.
Es ist die meisterhaft schöne Sprache, die wohl auch die Übersetzerqualität der Autorin ausmacht; fesselnd und pointiert bis ins letzte Wort; sehr passend die wohldurchdachte Gestaltung des Coverbildes und der Kapitelanfänge, angenehm die Haptik des Umschlagpapiers. Ausserdem zeigt dieses Werk aufs neue, dass Isabel Bogdan in mehreren Sparten der Literatur zu bestehen weiss. Ich bin auch diesmal von ihr begeistert. Frau Bogdan, bitte mehr!