Weg mit dem engen Friesennerz

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Einatmen, ausatmen. Eine Frau beginnt mit dem Laufen - um weiterzuleben, der Grübelei, der Trauer und dem Gedankenkarussell zu entkommen und ein schweres Trauma zu verarbeiten. Ihr langjähriger Freund hat sich das Leben genommen und der Suizid hat bei ihr viele Vorwürfe, Schuldgefühle und eine innere Lähmung ausgelöst. Die einfachsten Sachen fallen ihr auf einmal schwer. Die Profiorchesterspielerin hat Schwierigkeiten, ihren normalen Alltag weiterzuführen, Spiralen von Gedanken halten sie und ihr Herz in einem (wie sie selbst beschreibt) "Friesennerz" gefangen. Doch mit jedem Schritt, mit jedem Kilometer Laufen kommt sie ihrer Verarbeitung stückchenweise näher, öffnet sich mehr für ihre Umwelt und kann auch ihrer Wut Ausdruck verleihen.

Der Leser folgt diesem Laufen, dem Atmen und den sehr sprunghaften Gedanken der Ich-Erzählerin fast ohne Punkt und mit vielen Kommas - fast scheint der ganze Text über 200 Seiten atemlos mitzulaufen. Eine ganz neue Art eines Trostbuches und ein innovativer Stil, eine Geschichte über Trauerbewältigung zu schreiben. Isabel Bogdan enthüllt nur stückchenweise, was passiert ist - dazwischen muss der Leser den Gedanken der Läuferin von der einen Ecke in die andere folgen (Bettwäsche, Seitenstechen, Gespräche mit der Therapeutin, Freundin und Schwiegereltern, Wetter, Menschen in der Umgebung, Erinnerungen). Aus Schmerz wird Wut - Wut darüber, was ein Suizid eines geliebten Menschen auslösen kann und wie schwierig es für Mitmenschen ist, einem schwer Depressiven zu helfen ohne sich selbst zu verlieren. Und die Frau läuft weiter und weiter und löst ihr Herz damit immer mehr aus der Erstarrung und von dem engumschlossenen Friesennerz. Sie ordnet ihr Leben neu, lässt die Außenwelt wieder mehr an sich heran und der Leser ist bei ihrem Lauf zurück ins Leben hautnah dabei. Isabell Bogdan schreibt dabei nicht sentimental oder kitschig, sondern schonungslos ehrlich - kurz und prägnant. Der harte Stoff des Buches wird in buntgewürfelten Assoziationen verpackt und manchmal blitzt auch ein spitzer Humor auf, ohne den erhobenen Zeigefinger zu zeigen. Ein tolles lebensnahes Porträt einer Frau und ihrer Trauerbewältigung. Einatmen, ausatmen.