Ambivalent

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
heike lohr Avatar

Von

Ein Sachbuch über das Sterben zu lesen ist keine einfache Lektüre, die man einfach in eine Zug ausliest und dann sagt, wie toll das Leseerlebnis war.
Schon das Buchcover braucht für den Titel die ganze Vorderseite des Blattes. Unter dem Namen der Autorin steht einmal groß "Leben", dann folgt das Symbol für "und" groß alle Bereiche der Mitte ausschöpfend und unten steht "Sterben". In rechten unteren Ecke steht der Verlagsname "S. Fischer".
Somit ist klar, dass es um die großen ethischen Fragen geht, die rechts mittig im Untertitel auftauchen: "Die großen Fragen ethisch entscheiden".
So einfach das klingt, so schwer ist das. Am Lebensende ebenso wie am Lebensanfang.
Manchmal fällt beides zusammen oder das Neugeborene hat keine Überlebenschance. Gerade bei den neugeborenen Zwillingen, die beide logischerweise Frühchen sind, erholt sich der eine schnell und der andere bleibt schwach. Er muss länger im Brutkasten bleiben, muss an Geräte angeschlossen und reanimiert werden. Die Eltern können das Leid des Kindes nicht mitansehen, doch die Ärzte sehen Hoffnung und wollen die lebenssichernden Maßnahmen nicht aufgeben.
Die vielen Gespräche im Ethikkonzil - so würde ich sagen - in welchem alle Experten zu wort kommen- auch die Eltern - können sich nicht entscheiden. Denn die Ärzte glauben, dass der Kleine überleben wird mit nur geringfügigen Behinderungen, doch die Eltern befürchten größere Schäden und die Traumatisierung durch die lange und schmerzhafte Intensivversorgung. Die Ärzte setzen sich durch und der Kleine bleibt zwar schwach und muss von Kleinauf eine Brille tragen, ist sonst aber ein fröhliches und lebenslustiges Kind. Noch einmal gut gegangen habe ich mir gedacht.
Dazu im Gegensatz stehen oft die Entscheidungen am Lebensende, welche die Ärzte oft mit Palliativstation beantworten, wenn die Krebsbehandlungen keine Hoffnugn mehr auf eine längere lebenswerte Spanne nach der Behandlung gewährleisten können, wenn die Patienten schon zu schwach sind.
Und auch bei der Fortpflanzungsmedizin wird die PID bei der künstlichen Befruchtung verwendet, ob die befruchtete Eizelle wirklich keine genetischen Defekte hat, damit sich der Einsatz der künstlichen Befruchtung lohnt. Auch da gibt es Bedenken, dass Behinderung bzw. mögliche Behinderung als lebensunwert gilt und doch haben wir bei den Frühchen den anderen Einsatz der Lebenserhaltung und der Ermöglichung eines lebenswerten Lebens gesehen.
Medizinethik hat immer Dilemmafälle und es gibt auch die unterschiedlichen Vorstellungen der Patienten-Arztbeziehung . Ob paternalistisch, dass die letzte Entscheidung immer der Arzt hat oder autonom, dass der Patient mitenscheiden kann oder das Dienstleistungsmodel, das der Patient sich die ärztliche Dienstleistung aussucht, gilt es immer das rechte ethische Maß zu finden.
Der Autorin gelint es gut, die schwierige Entscheidungsfindung und die Gespräche zwischen allen Handlungsakteuren treffend darzustellen. Doch immer bleibt eine gewisse Ungewissheit, ob man sich richtig entschieden hat und noch immer ist der Arzt der Experte, der den Ausschlag gibt.
Kurzum, ein schlüssig und authentisch geschriebenes Buch mit viel Ehrlichkeit und vielen offenen Fragen, denn Ethik wirft oft mehr Fragen auf, als sie zu lösen vermag. Doch sind es auch die ethischen Prinzipien, die wir alle immer im Alltag anwenden sollen, die wichtig sind.Wir müssem immer wieder selbst entscheiden. Das macht uns als Menschen aus. Ein absolutes MUss für alle, die sich ethisch mündig verhalten wollen.