Deutsch-deutsche Geschichte zum Erleben

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elke seifried Avatar

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Katharina Fuchs hat mir schon mehrfach bewiesen, wie mitreißend sie Geschichte vermitteln kann, ich habe mich deshalb sehr auf ihren neuen Roman gefreut und wurde nicht enttäuscht. Einmal mehr hat sie mir bewiesen, warum sie auf meiner Liste an Lieblingsautoren ganz weit oben ihren Platz hat.

»Es wird wirklich Zeit, dass du einen Fotoapparat bekommst! Dann nähe ich die Kleider nach, und du knipst mich darin.« »Und du wirst ein berühmtes Mannequin, ich eine weltbekannte Modefotografin, und zusammen gehen wir ganz weit weg, nach Berlin oder Paris…« träumen Angelika Stein und ihre Freundin. Die Leidenschaft für Kunst und Fotografie vom Papa vererbt, ist es Angelikas größter Wunsch Fotografin zu werden. Doch als sie von der Schule fliegt, rückt dieser, sowieso schon für ein Mädchen schon schwer zu verwirklichende Wunsch nach einem typischen Männerberuf, scheinbar in unerreichbare Ferne. Als Mädchen, dazu noch ohne Abschluss, hat sie eigentlich keine Chance auf eine Lehrstelle. Ein glücklicher Zufall will aber, dass sie doch eine Chance bei einem Fotografen bekommt, der erst vor kurzem aus der DDR geflüchtet ist. Genau dort lebt, dem Sport zuliebe, denn da gilt, »Wie Sie vielleicht gehört haben, hat das Politbüro des ZK der SED vor einiger Zeit beschlossen, der Sportförderung in unserem sozialistischen Vaterland besonderen Stellenwert beizumessen.« aber Christine und für dieses Ausnahmetalent gilt, „Die Bewegungen waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen, denn Christine war seit ihrem zwölften Lebensjahr Leistungsturnerin. Zuvor hatte sie sogar in der harten Nachkriegszeit Ballettunterricht gehabt.“

Als Leser lernt man beide Mädchen in einem ersten Teil im jugendlichen Alter kennen, darf erleben, welche Hürden Angelika Stein nehmen muss, bis sie ihre Ausbildung als Fotografin bekommt und erfährt auch ein wenig von dieser. Bei Christine darf man auf der einen Seite sportliche Höchstleistungen miterleben, auf der anderen aber auch den harten Drill kennenlernen. In einem zweiten Teil darf man dann noch einmal auf das Leben der inzwischen jungen Frauen blicken, bei der einen auf das der einer der ersten deutschen Foto-Journalistinnen und bei der anderen auf das einer Leistungsturnerin aus der DDR, die immer mehr Zweifel bekommt.

Grandios transportiert die Autorin auch in ihrem neuen Roman wieder hierbei die Rolle der Frau zu der Zeit. Sei es durch einen Rektor, der eigentlich bislang guten Schülerin Angelika das Leben ganz besonders schwer macht „Pfeiffer war ein eifriger Verfechter der Theorie, dass durch allzu viel Bildung die eigentliche Aufgabe der Frau als Hausfrau, Gattin und Mutter zu sehr in den Hintergrund trat und die weibliche Demut Schaden nehmen könne. Und ausgerechnet ihm wurde die Aufgabe übertragen, das Lyzeum im Rahmen der neuerdings befürworteten Koedukation in sein geliebtes Jungengymnasium zu integrieren.“, Probleme bei der Lehrstellensuche, „»Wenn du dir das Schild einmal genauer angesehen hättest, wäre dir aufgefallen, dass ich einen Lehrling suche und kein Lehrmädchen. Ich dachte, das wäre unmissverständlich. Fotograf ist kein Frauenberuf.« oder später dann auch, sich als Pressefotografin eine Position zu erkämpfen, wird deutlich erlebbar, welche Hürden zu meistern sind.

„Sie musterte Christines nackte Waden und fügte neidvoll hinzu: »Ohne Strümpfe dürfen wir leider nicht.« Christine lächelte zurück. Sie wunderte sich, dass es etwas gab, das in der DDR erlaubt und den Westdeutschen verboten war.“ Die Autorin hat wie immer grandios recherchiert, sodass sie unheimlich viele kleine Details, solche, die Geschichte so interessant und spannend machen, präsentieren kann. Das macht für mich immer die guten unter den Schriftstellern von historischen Romanen aus, wenn ich solches Nischenwissen dazulernen kann. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang sicher auch der Epilog, in dem man noch erfährt, was aus den real existierenden Personen geworden ist.

Katharina Fuchs erzählt die Geschichte aus den zwei unterschiedlichen Perspektiven der beiden Mädchen. Man ist beiden daher sehr nah und gemeinsam mit dem mitreißenden, besonders emotionalen Schreibstils der Autorin kann man hier so richtig mitleiden, mitfiebern und mitleiden. Schon auf den ersten Seiten hatte sie mich direkt in ihren Fängen und lange habe ich Buchseiten nicht mehr in einem solchen Rekordtempo verschlungen. Ich war emotional völlig gefangen, habe die Geschichte mit den beiden Mädchen mitgelebt. Ich habe beim Lesen stellenweise fast selbst tiefen Schmerz empfunden, wenn es heißt „Doch ihr blieb die Luft weg, als Hartung sich plötzlich ohne Vorwarnung mit großer Wucht und seinem gesamten Gewicht auf ihre Knie stemmte. Sie schrie gellend auf, während er ihre Bänder sekundenlang weit überdehnte. Während sie glaubte, vor Schmerzen ohnmächtig zu werden, sah sie durch einen Nebel, ganz nah über sich, das Gesicht von Frau Bauer, in dem ein vollkommen unbeteiligter Ausdruck lag.“, was dann zudem lediglich mit »Na also. Jetzt hast du Säbelbeine, Magold, wie es sich für eine Kunstturnerin gehört.«, kommentiert wird oder auch wenn sie so brutal trotz stundenlangem täglichen Training auf 950 kcal gesetzt wird, habe ich nicht nur einmal selbst Magenknurren bekommen. Auch Angelikas Begeisterung fürs Fotografieren ist z.B. regelrecht auf mich übergesprungen, überlege ich mir doch nun ernsthaft auch eine Kamera anzuschaffen. Gut hat mir zudem gefallen, dass ich auch hin und wieder schmunzeln durfte. Ganz besonders in Erinnerung ist mir sicher noch die witzige Szene mit den Tücken der modernen elektrischen Erfindungen, wie z.B. der Trockenhaube, „Die toupierte Lockenfrisur der Kundin, die eben noch adrett ihr Gesicht eingerahmt hatte, wurde in alle Richtungen gezerrt und stand der Dame plötzlich zu Berge. Sie stieß einen schrillen Schrei aus.“, wenn man die noch nicht richtig zu bedienen weiß. Kein Wunder, dass mancher da noch skeptisch war.

Christine, Angelika, ich glaube ich habe so viel geschwärmt, wie sehr ich mit den beiden Mädchen, später jungen Frauen gefiebert, gelitten und gelebt habe, dass sich erübrigt zu betonen, wie grandios, authentisch und real sie gezeichnet sind. Richtig gut ist der Autorin auch gelungen mit ihrer, übrigen, ebenfalls großartigen, Figurenzeichnung einen Querschnitt durch die damalige Bevölkerung abzubilden, beim aufgeschlossenen, warmherzigen Papa von Angelika angefangen, über den, um seine in der DDR verbleibende Familie trauernden Republikflüchtling und im Gegensatz dazu, die von der Ideologie der DDR völlig überzeugte Mutter von Christine, bis hin zum in Traditionen verharrenden Kollegen, der meint »Seit wann sitzen hier Fotografen mit am Tisch und noch dazu Frauen?«, hörte sie den älteren Journalisten mit den Schuppen murmeln.

Alles in allem ein besonders emotional erzähltes, packendes und mitreißendes Stück deutsch-deutscher Geschichte, aufgezeigt an zwei Frauenschicksalen, das einen nicht kalt lassen kann. Für mich ein weiteres Lesehighlight aus der Feder von Katharina Fuchs. Begeisterte fünf Sterne.