Fesselnde Zeitgeschichte

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In ihren Roman „Lebenssekunden“ erzählt Katharina Fuchs aus dem Leben zweier junger Frauen, die auf ganz unterschiedliche Weise aufwachsen und sich ihren Platz im Leben erkämpfen. Die Handlung beginnt im Jahr 1956 und erstreckt sich über fünf Jahre – im stetigen Wechsel erfährt der Leser, wie es Angelika Stein und Christine Magold auf ihren Wegen ergeht, bis die beiden sich unter dramatischen Umständen 1961 in Berlin zum ersten Mal begegnen.

Angelika wächst in Kassel in einem Künstlerhaushalt auf. Die 15-Jährige ist blitzgescheit, muss aber wegen wiederholten Schwänzens die Schule verlassen. Ohne Abschluss scheint ihr Traum, eine Ausbildung zur Fotografin zu machen, geplatzt zu sein. Doch sie hat Glück, die Begegnung mit dem Fotografen Joachim Hellmann, der ihre Leidenschaft und ihr großes Talent für die Fotografie erkennt und ihr eine Lehrstelle gibt, ebnet ihr den Weg, eine der ersten Fotojournalistinnen Deutschlands zu werden…

Auch die ebenfalls 15-jährige Christine ist hochtalentiert. Christine lebt aber in einer ganz anderen Welt, als Angelika, und das nicht nur, weil sie in Ostdeutschland aufwächst. Christine ist Kunstturnerin und gilt als große Medaillenhoffnung der DDR bei den Olympischen Spielen. Vom Ehrgeiz ihrer Mutter und dem physischen und psychischen Druck ihres Trainers und der Funktionäre angetrieben, erbringt Christine Höchstleistungen – ihr Alltag gleicht dabei einer nicht enden wollenden Tortur aus Hunger, brutalen Trainingsmethoden und Schmerzen …

„Lebenssekunden“ wird fesselnd erzählt und entwickelt schnell einen Sog, dem man sich als Leser nicht entziehen kann. Der Roman besticht vor allen Dingen durch die überzeugende Verknüpfung von Realität und Fiktion – Katharina Fuchs hat das Erwachsenwerden und die Entwicklung ihrer Protagonistinnen eng mit der Lebensart, den gesellschaftlichen und politischen Strukturen beider deutscher Staaten und den tatsächlichen Herausforderungen und Vorgehensweisen in den 1950er Jahre verwoben. Die beiden Frauen und ihr Umfeld wirken dabei so echt und authentisch, dass man es kaum glauben mag, dass es sich um fiktive Figuren handelt.

Anschaulich und eindringlich schildert die Autorin die vielen Höhen und Tiefen, die Angelika und Christine durchstehen müssen. Ich wurde von den Erlebnissen der beiden jungen Frauen regelrecht mitgerissen und habe durchweg mit beiden mitgefiebert – ich habe Angelika dafür gefeiert, dass sie trotz aller Widrigkeiten ihren Weg gegangen ist und sich einen Platz in einer rauen Männerdomäne erkämpft hat. Und ich habe mit Christine gelitten, wenn sie für den Ruhm und die Ehre des sozialistischen Vaterlandes bis zum Umfallen getriezt wurde und von jeglicher Individualität beraubt um den sportlichen Erfolg gerungen hat.

„Lebenssekunden“ hat mich von der ersten bis zur letzten Seite begeistert - eine mitreißend erzählte Geschichte, die den Leser intensiv am Werdegang zweier mutiger junger Frauen im Nachkriegsdeutschland teilhaben lässt. Absolute Leseempfehlung!