Diese Leere lässt viel Raum für Erschreckendes

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emmmbeee Avatar

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Der erste Eindruck des Buches ist durch den geriffelten Einband haptisch angenehm. Die Covergestaltung veranschaulicht den Titel durch die Grundierung Weiss. Sparsame dunkelblaue Kleckse wie Tintenflecke verweisen auf einen späteren Teil des Geschehens, nämlich das Tattoo mit dem Schriftzug «Leere Herzen», welches die Mitglieder der geheimen Parallelarmee auf ihrer Haut tragen.
Zum Inhalt: Das Deutschland einer nahen Zukunft, Angela Merkel muss abtreten, die politischen Strukturen verschieben sich in eine gänzlich andere Richtung. Auch das Geschäft mit dem Tod nimmt neue Ausmasse an, und nicht nur das Unternehmen von Britta Söldner und Babak Hamwi, «Brücke», gut verborgen unter dem Deckmantel der Psychotherapie, verdient daran.
Ich habe mich beim Lesen gefragt, ob die geschilderte Vorgangsweise, im Netz nach Suizidwilligen zu fischen, nicht auch bei der Suche nach Selbstmordattentätern bereits praktiziert wird.
Fürs erste steht die typische Kleinbürgeridylle im Vordergrund, doch bald schon öffnen sich Abgründe, die mit fortlaufender Handlung immer tiefer werden.
Juli Zeh scheut sich nicht, gerade solche Themen aufzugreifen, die in der heutigen Wohlstandsgesellschaft und in der Komfortzone der Demokratie mehr oder weniger zu den Tabus gehören. Das war in jedem ihrer bisherigen Bücher so, macht sie einzigartig und begründet ihren grossen Erfolg mit.
Bei ihr haben die Namen der Protagonisten stets etwas zu bedeuten und weisen auf die innere Person und Bedeutung ihrer Träger hin. In welchen Diensten steht Britta Söldner? Babak wiederum bedeutet «kleiner Vater». Nach meiner Meinung gibt es dazu mehr als nur eine Lösung, und der Leser ist aufgefordert, auch ein Denker zu sein.
Zehs Protagonisten sind aber keine Helden, und sie versucht nicht, ihnen eine sympathische Seite zu verleihen. Ja es scheint so, als sei die Autorin selbst ihr bester Feind. Es entsteht gar keine Nähe zum Leser, und dieser ist wohl in den meisten Fällen froh, aussen vor bleiben zu dürfen.
Juli Zehs Sprache ist klar, provozierend, manchmal lakonisch und kalt. Elegant zerpflückt sie die Selbsttäuschungen der Gesellschaft, der unteren wie der oberen.
Zu Beginn der Kapitel hingegen strotzt der Text nur so von übersättigenden Adjektiven. Die geschilderten Fakten wiederum verstören und schockieren, doch der Leser weiss: So weit hergeholt sind sie nicht. Die beschriebene Welt ist nicht nur eine fiktive, sondern möglicherweise bald schon existierende. Denn wenn sie sich erst in den Gedanken der Leser festgesetzt hat, ist die Realität nicht mehr weit.
Dabei begibt sich die Autorin in die illustre Nähe von internationalen Grössen wie Orwell, Houellebecq und Eggers. Gewagt? Ich finde, Zeh kann sich neben ihnen behaupten, denn man muss über ein reiches Innenleben verfügen, um über leere Herzen schreiben zu können.
Bei den letzten Seiten des Werks angekommen, atme ich erstmal kräftig und befreit durch. Die Figuren lasse ich gern im Buch zurück.