Die Wogen eines Menschenlebens

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dj79 Avatar

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Roland Baines ist der Sohn eines Militäroffiziers in Libyen, der mit elf Jahren nach England ins Internat geschickt wird. Getrennt von den Eltern erhält er dort neben der schulischen Ausbildung Klavierunterricht, stellt sich als überdurchschnittliches Talent heraus. Doch einschneidende Ereignisse in der Folge entfremden Roland von seinem Talent und lassen ihn eine Weile ruhelos durch sein Leben irren. Glücklos endet leider auch seine erste Ehe, die sogar mit einem Kind, seinem Sohn Lawrence, gesegnet war.

Wir begleiten Roland sein gesamtes Leben bis ins hohe Alter. Er bewältigt die Hürden des Lebens, jeweils ein bisschen neben der Spur oder ein ein wenig zu spät. Auf mich wirkt Roland zu unentschlossen und wenig motiviert, eigene Wünsche zu formulieren, sich durchzusetzen. Dabei besitzt er mehrere Talente, die Roland aus meiner Sicht hätte weiterverfolgen können. Leider lässt er sich von den Enttäuschungen seines anfänglich jungen Lebens so weit herunterziehen, dass er sein gesamtes Leben unterhalb der sich bietenden Möglichkeiten verbringt.

Trotz seiner allgemeinen Erfolglosigkeit mochte ich Roland irgendwie. Er ist alles andere als ein Strahlemann, aber fürsorglich und ein Familienmensch. Dafür, dass er so jung von der Familie fortgeschickt worden ist, hat Roland sich als Vater und noch mehr als Großvater gut gemacht. Ich mochte zudem seine Gedanken zu seinen eigenen Lebenslagen und zu den jeweiligen Gesellschaftsumständen im Laufe der Zeit.

Ian McEwan bettet die Geschichte um seinen Antihelden Roland Baines in die Weltgeschichte ein, verbindet einzelne Charaktere aus Rolands Umfeld mit berühmten Protagonisten der Historie. So erinnern sich geneigte Lesende an die Weiße Rose, den Blauen Reiter, an die Kuba Krise, die DDR mit dem späteren Mauerfall, an Margaret Thatcher und auch Boris Johnson. Ian McEwan verwebt die wichtigsten historischen Ereignisse vom Zweiten Weltkrieg bis hin zur Corona-Krise geschickt mit dem Leben der kleinen Leute, mit Rolands Leben.

Manchmal erschien mir das Leben des Antihelden etwas langatmig, die Kapiteleinteilung war mir insgesamt zu lang, manchmal mühselig. Aber so ist das Leben, manchmal anstrengend, wenig erfolgreich und eben mühselig. Diese realistische Darstellung hatte was erfrischendes, auch wenn das natürlich weniger Action mit sich bringt und den Lesefluss etwas ausbremst.