Ein ganzes Leben

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yaltur Avatar

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Ian McEwan kannte ich bisher nur mit eher kurzen, pointierten Büchern - Lektionen ist mit seinen über 700, eng bedruckten Seiten ein ganz anders Kaliber. Es erzählt die Geschichte von Roland Baines, aus seiner Perspektive, und führt mit diversen Zeitsprüngen von dessen Kindheit bis hin ins hohe Alter.
Roland Baines kommt als Junge in ein Internat in England, dort bekommt er Klavierunterricht von seiner Lehrerin - schon bald konzentriert diese sich jedoch nicht nur auf den Unterricht, sondern zeigt auch körperliches Interesse an dem Jungen, der sich geschmeichelt fühlt und gleichzeitig überhaupt noch nicht reif genug für eine sexuelle Beziehung ist, die von einem deutlichen Machtgefälle geprägt wird. Der Mißbrauch durch die Lehrerin wird ihn sein ganzes Leben nicht mehr loslassen und hemmt in Folge seine berufliche Entwicklung.
Eine weitere, prägende Frau in seinem Leben ist die Mutter von seinem Sohn, die beide verlässt, um erfolgreich Schriftstellerin zu werden. Auch dieser Situation ist Roland Baines ausgeliefert, er versucht sein Leben lang, das Verhalten seiner damaligen Partnerin zu verstehen und zu akzeptieren, richtig gelingen mag es ihm nicht.
Man muss sich auf diese Lebensgeschichte einlassen, Roland Baines ist häufig wenig greifbar in seinen Entscheidungen, sein Leben plätschert vor sich hin, auch wenn er innerlich oft zerissen ist. Und wie im richtigen Leben, gibt es auch im Buch zahlreiche Nebenstränge, seien es die eigene Familie, die seiner Partnerin, seine spätere Frau, sein Sohn, die Tagespolitik. Ein wirklicher Spannungsbogen entsteht hierdurch nicht, aber wenn man sich darauf einlässt, kann Roland Baines ein guter Begleiter werden, der einem zeigt, wie man am Ende seine Würde behalten kann, auch wenn es das Leben nicht immer gut mit einem meint.