Eine Verwebung von politischem und privaten Entwicklungen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
nil Avatar

Von

Ian McEwan hat so einige hochgelobte Romane hervorgebracht, die gar verfilmt worden sind wie ‚Abbitte‘. Genauso hat er auch schon zwiespältige Romane geschrieben wie ‚Nussschale‘. Es gibt Schwankungen, aber was er gerne macht und da kommt mir gleich der etwas ältere Roman ‚Saturday‘ in den Sinn ist das Private mit dem Politischen zu verbinden. Und genau das tut er hier auch. Auch wenn es vordergründig um den Protagonisten Roland Baines geht und dessen gesamtes Leben. Roland Baines, geboren 1948, genau wie Ian McEwan. Überhaupt webt der Autor scheinbar an der ein und anderen Stelle sein eigenes Leben ein, wie sollte es auch ausbleiben, wenn der Blick sich zurückwendet.
Baines ist ein durchschnittlicher Typ, anhand dessen Leben und seinen intimen Erfahrungen auch das großen Weltgeschehen der letzten Jahrzehnte aufgerollt wird und immer wieder die Frage wie weit dringt das Politische in den eigenen Lebensraum ein und verändert uns und den Lauf unseres Lebens.
Bei Baines sind es aus meiner Sicht drei starke Momente die hier zum Tragen kommen: Tschernobyl 1986, da setzt auch der Roman ein. Dann eine Rückblende in seine Jugend ins Jahr 1962 mit der Kubakrise und wieder etwas später auf dem Strahl der Geschichte die Wiedervereinigung. Hier muss man natürlich die starke britische Brille des Autors bedenken. Er kennt sich aus, aber es ist eben ein Blick von außen.
Auf den 700 Seiten kommen natürlich auch noch andere Menschen zum Tragen und vor allem seine deutsche Ex-Frau Alissa, die ihn zum Einsetzen des Romans 1986 verlässt um zu schreiben und ihn mit dem 7 Monate alten Baby zurücklässt. Auch hier wieder ein „klassisches“ McEwan-Motiv in dem er eine moralische Frage in den Raum wirft: Darf man die Familie hinter sich lassen um sein eigenes Glück zu suchen, weil es woanders liegt? Das ist bei weitem nicht die einzige moralische Frage, die hier erörtert wird. Auch sollte man eine Triggerwarnung beachten, denn hier geht es auch zentral um einen nicht-verarbeiteten Missbrauch.
Der große britische Literat, der auch oft als Literaturnobelpreisanwärter gilt, hat mit ‚Lektionen‘ aus meiner Sicht einen guten, aber nicht seinen besten Roman vorgelegt.