Klug und schmerzlich - Panorama über das Tasten durchs Leben
Ian McEwans Roman „Lektionen“ entfaltet das Panorama eines ganzen Lebens, das auf engste Weise mit der Geschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts verflochten ist. Im Mittelpunkt steht Roland Baines, der 1948 als Sohn eines britischen Offiziers geboren wird und in Libyen seine frühe Kindheit verbringt, bevor er ins Internat nach England geschickt wird. Dort, in einer Atmosphäre der Einsamkeit und Unsicherheit, nimmt eine verstörende Beziehung ihren Anfang. Die ältere Klavierlehrerin verwebt den minderjährigen Roland in eine Beziehung, überschreitet dabei Grenzen, die Roland nie mehr ganz loslassen werden. Jahrzehnte später erkennt er erst in vollem Umfang, wie prägend dieser Missbrauch war, nämlich ein Trauma, das in sein späteres Leben immer wieder hineinwirkt.
Ian McEwan schildert Rolands Weg mit einer beachtlichen erzählerischen Eleganz. Statt sich gradlinig vorzuarbeiten, springt er durch die Zeit, verwebt persönliche Schlüsselmomente mit politischen Zäsuren wie der Kuba-Krise, Tschernobyl, der Thatcher-Ära, dem Fall der Mauer, dem Brexit und der Corona-Pandemie. All das läuft nicht einfach im Hintergrund ab, sondern wird in Rolands Biografie eingebettet. Gerade die Angst vor einem drohenden Atomkrieg oder das Gefühl einer zerbrechenden Weltordnung treiben ihn an, Entscheidungen zu treffen oder sie hinauszuschieben.
Dieses Buch ist ein Roman über Verpasstes und über Chancen, die vielleicht nie wirkliche Chancen waren. Roland gilt in seiner Jugend als begabter Pianist, doch statt eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, bleibt er ein Barpianist in Londoner Hotels, der beim Nachmittagstee zum Hintergrund gehört. Auch seine literarischen Ambitionen führen nicht zu Ruhm, sondern zu Gedichten für Grußkarten. Mit seiner Ehefrau Alissa, einer aufstrebenden Schriftstellerin, erlebt er erst das Glück einer Familie und dann den jähen Bruch, als sie ihn mit dem gemeinsamen Baby zurücklässt, um sich ganz ihrem Werk zu widmen.
Und doch ist Roland keine tragische Figur, an der alles scheitert, im Gegenteil. Gerade in seiner unspektakulären Art wächst er einem ans Herz. Er versucht, seinem Sohn Lawrence ein liebevoller Vater zu sein, und er findet später noch einmal Nähe und Trost in einer Beziehung, die ihn jedoch durch Krankheit viel zu früh wieder verlässt. Auch die familiären Geheimnisse wie bspw. über seine eigenen Eltern sind Teil der Lebenslektionen, die ihm Ian McEwan erteilt.
Was „Lektionen“ so beeindruckend macht, ist diese Mischung aus intimer Psychologie und großer Zeitgeschichte. Die historische Dimension wirkt nie aufgesetzt, sondern organisch verwoben mit der Entwicklung einer Persönlichkeit, die immer wieder reflektiert, zweifelt, hadert, aber auch Versöhnung sucht. McEwan lässt dabei offen, woran man den Wert eines Lebens messen soll, eher an den sichtbaren Erfolgen und an bleibenden Werken oder daran, ob man Frieden mit sich selbst findet.
Der Stil des Romans ist präzise, unaufgeregt und zugleich voller Wärme für seine Figuren. Obwohl die Geschichte über 700 Seiten hinweg erzählt wird, wirkt keine Passage redundant wohl aber hier und da langatmig. Es entfaltet sich nach und nach ein Porträt eines Mannes, der vielleicht nichts Großes geschaffen hat und gerade darin etwas Universelles verkörpert. Die Geschichte aus den Lektionen eines Lebens, Deine und meine, unsere.
Wer Romane liebt, die tief ins Leben hineinleuchten, die Fragen stellen, ohne sie mit einfachen Antworten zu entschärfen, wird an diesem Buch viel Freude haben. Für mich ist „Lektionen“ ein bewegendes Alterswerk.
Ian McEwan schildert Rolands Weg mit einer beachtlichen erzählerischen Eleganz. Statt sich gradlinig vorzuarbeiten, springt er durch die Zeit, verwebt persönliche Schlüsselmomente mit politischen Zäsuren wie der Kuba-Krise, Tschernobyl, der Thatcher-Ära, dem Fall der Mauer, dem Brexit und der Corona-Pandemie. All das läuft nicht einfach im Hintergrund ab, sondern wird in Rolands Biografie eingebettet. Gerade die Angst vor einem drohenden Atomkrieg oder das Gefühl einer zerbrechenden Weltordnung treiben ihn an, Entscheidungen zu treffen oder sie hinauszuschieben.
Dieses Buch ist ein Roman über Verpasstes und über Chancen, die vielleicht nie wirkliche Chancen waren. Roland gilt in seiner Jugend als begabter Pianist, doch statt eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, bleibt er ein Barpianist in Londoner Hotels, der beim Nachmittagstee zum Hintergrund gehört. Auch seine literarischen Ambitionen führen nicht zu Ruhm, sondern zu Gedichten für Grußkarten. Mit seiner Ehefrau Alissa, einer aufstrebenden Schriftstellerin, erlebt er erst das Glück einer Familie und dann den jähen Bruch, als sie ihn mit dem gemeinsamen Baby zurücklässt, um sich ganz ihrem Werk zu widmen.
Und doch ist Roland keine tragische Figur, an der alles scheitert, im Gegenteil. Gerade in seiner unspektakulären Art wächst er einem ans Herz. Er versucht, seinem Sohn Lawrence ein liebevoller Vater zu sein, und er findet später noch einmal Nähe und Trost in einer Beziehung, die ihn jedoch durch Krankheit viel zu früh wieder verlässt. Auch die familiären Geheimnisse wie bspw. über seine eigenen Eltern sind Teil der Lebenslektionen, die ihm Ian McEwan erteilt.
Was „Lektionen“ so beeindruckend macht, ist diese Mischung aus intimer Psychologie und großer Zeitgeschichte. Die historische Dimension wirkt nie aufgesetzt, sondern organisch verwoben mit der Entwicklung einer Persönlichkeit, die immer wieder reflektiert, zweifelt, hadert, aber auch Versöhnung sucht. McEwan lässt dabei offen, woran man den Wert eines Lebens messen soll, eher an den sichtbaren Erfolgen und an bleibenden Werken oder daran, ob man Frieden mit sich selbst findet.
Der Stil des Romans ist präzise, unaufgeregt und zugleich voller Wärme für seine Figuren. Obwohl die Geschichte über 700 Seiten hinweg erzählt wird, wirkt keine Passage redundant wohl aber hier und da langatmig. Es entfaltet sich nach und nach ein Porträt eines Mannes, der vielleicht nichts Großes geschaffen hat und gerade darin etwas Universelles verkörpert. Die Geschichte aus den Lektionen eines Lebens, Deine und meine, unsere.
Wer Romane liebt, die tief ins Leben hineinleuchten, die Fragen stellen, ohne sie mit einfachen Antworten zu entschärfen, wird an diesem Buch viel Freude haben. Für mich ist „Lektionen“ ein bewegendes Alterswerk.