Lektionen des Lebens

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
lesen-lesen Avatar

Von

Als der 11jährige Roland Baines von seinen Eltern alleine nach England ins Internat geschickt wird ändert sich sein Leben von Grund auf. Die sexuellen Übergriffe seiner Klavierlehrerin verändern sein gesamtes Leben, begleiten ihn durch das Erwachsenwerden und seine Ehe. Erst als seine Frau Alissa ihn und den kleinen Sohn verlässt beginnt er, dieses prägende Erlebnis zu hinterfragen und aufzuarbeiten.
Deutlich seltener als der Missbrauch von Männern an Mädchen ist es hier fast unfassbar zu lesen, wie die Musiklehrerin den jungen Schüler verführt, dominiert und missbraucht. Tatsächlich fragt man sich, wie Rolands Leben verlaufen wäre ohne dieses prägende Erlebnis, das ihn nicht nur einen guten Schulabschluss gekostet hat. Auch dass es hier mal um einen alleinerziehenden Vater mit allen Sorgen und Nöten geht, der seinem Sohn erklären muss, warum die Mutter von einem Tag auf und davon ist um sich selbst zu verwirklichen, macht diesen Roman eher ungewöhnlich.
Schreiben kann der Mann einfach - Ian McEwan versteht es, das Leben von Roland als 11jährigen bis in die heutige Zeit mit großartigen Worten zu beschreiben, seine Zerrissenheit, seine Unsicherheit, seine Lebensumstände. Dabei ist dieses Buch für die Leser*innen gleichzeitig eine Zeitreise durch die Geschichte der letzten 70 Jahre. Egal ob die Kubakrise, die deutsche Wiedervereinigung, Tschernobyl oder Corona - zusammen mit Roland Baines erleben wir die Weltpolitik auf 700 Seiten. So interessant dieser Roman ist, ich hätte mir doch manchmal eine etwas kürzere Fassung gewünscht, deshalb auch der eine Stern Abzug. Thematisch und stilistisch eine absolute Leseempfehlung.