Lektionen des Lebens

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Ian McEwan verfasst einen Roman, indem ein ganzes Menschenleben, mit Höhen und Tiefen Platz einnimmt, während um dieses einzelne Leben herum, das Leben von vielen anderen ebenfalls neue Routen und historische Momente miterlebt. Ein Roman, indem es um Geschichte, Anfänge und Formungen, Beeinflussungen in der Kindheit, Wandel und Entwicklung der Gesellschaft, sowie um die Individuen an sich geht.

McEwan konstruiert ein ganzes Menschenleben in einer der unruhigsten politischen Zeiten, dem 20. Jahrhundert. Angefangen in der Nachkriegszeit, über den Fall der Mauer, diverse Krisen, Präsidenten und Premierminister bis zur jetzigen Pandemie; ein ganzes Menschenleben ist sehr lang, verfolgt man diese Ereignisse auf den 720 Seiten.
Mit Roland schafft er einen Protagonisten, der blass bleibt, schwach in seiner Persönlichkeit resultierend aus einem Ereignis in seiner Jugend. Eine Person, die sein bestes gibt, mit sich selber kämpft und seinen Platz in der Gesellschaft finden will, sich aber selbst im Weg steht. Ein Protagonist, der es nicht einfach hat in einer veralteten Gesellschaft mit ihren starren Konventionen, in einer sich schnell modernisierenden Welt.
Sein ganzes Leben lang kämpft Roland mit sich, seinem Leben, seinen Beziehungen, seinen Wünschen, Träumen und Ansichten während um ihn herum die Welt sich schnell bewegt und entwickelt.

Die „Lektionen“ die ein Mensch in seinem Leben erfährt wurden in das Setting wunderbar eingebettet und verliehen durch eine sehr angenehme sprachliche Ausführung dem Buch eine ganz eigene Stimmung, die mich zumindest immer wieder in einen Sog gebracht hat. Ich konnte das Buch teilweise nicht aus der Hand legen, was mir bei reiner Literatur nicht sehr häufig passiert.
Diese Stimmung und der Schreibstil sind es auch, die mich wie gewöhnlich bei Ian McEwan, in eine emotionale Verbundenheit geführt haben, sodass ich erstmal ein wenig brauchte, um das gelesene zu verarbeiten.
Interessant waren für mich auch die Zeitsprünge und Sprünge der Situationen, kleine Rückblicke im Kopf des Protagonisten, mal aus eigener Erinnerung, mal aus Erzählungen. Dabei musste ich mich im Kopf kurz neu sortieren beim Lesen, dies fing sich aber relativ schnell.

Die Thematisierung von Entscheidungen und Situationen, die ein ganzes Leben, oder auch mehrere beeinflussen können, findet man zum Beispiel auch in „Abbitte“.
Selbst die kleinsten Entscheidungen und Ereignisse können Auswirkungen haben, die nur für kurze Zeit anhalten, oder aber für das ganze Leben. Diese „Lektionen des Lebens“ sind nicht mehr rückgängig zu machen und das beste was man machen kann, ist mit ihnen zu leben und für sich persönlich einen Weg zu finden, wie man damit leben kann; was sowohl in Abbitte als auch Lektionen passiert ist, jedoch auf andere Art und Weise.

Spannend war für mich ebenfalls der Einbau von sich wiederholenden Ereignissen und Lektionen, gegen die man selbst wenig unternehmen kann, sich jedoch entspannt, sobald sie für andere Personen einen anderen Lauf nehmen. Lernen von anderen, lernen von sich selbst und Erfahrungen weitergeben.
Die langsame Modernisierung der Gesellschaft, sowohl in Erziehung, Bildung und Digital wird schleichend untergebracht und man erfährt als Leser nur aus Distanz von dem Prozess, da der Protagonist wie bereits erwähnt blass bleibt und nur die Funktion hat eine Art Durchschnitt/ Beispiel zu sein. Zumindest kam es für mich so rüber.

Dieser Roman war für mich ein kleines Highlight, auf das ich mich gefreut habe, seitdem ich gehört habe, dass Ian McEwan ein neues Buch herausbringt. Ich bin ein großer Fan seiner Werke, daher vielleicht auch etwas vorherig beeinflusst.
Für mich ein solides Werk, die Länge sei dem Menschenleben geschuldet, vielleicht könnte man einige Parts auch kürzen, alles in allem eine Empfehlung von mir, sofern ihr Lust auf eine kleine Zeitreise und etwas Kritik an Gesellschaft habt.

„Unsere Anfänge formen uns, und wir haben uns ihnen zu stellen.“