Lessons

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
hybris Avatar

Von

„Lektionen“ von Ian McEwan beginnt mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Wir Leser begleiten den Protagonisten Roland Baines. Er wurde (ebenso wie der Autor) im Jahre 1948 geboren. Als Sohn eines Armeeoffiziers wächst er zunächst in Libyen auf - Im Roman wird seine Vita erzählt. Schlaglichtartig werden dabei die großen Ereignisse der Weltgeschichte beleuchtet – Kubakrise, Tschernobyl, Mauerfall, Pandemie, just to name a few. Das hört sich zunächst langweilig an – doch die Geschichte hat es in sich! Trotz gewisser Längen konnte mich die Erzählung begeistern, da der Autor ethisch-moralische Fragen aufwirft, die zum Nachdenken anregen. Mit großer Sensibilität und feinem Fingerspitzengefühl wird der plot entworfen. Rolands deutsche Frau Alissa lässt ihn und den kleinen Sohn Lawrence sitzen, um sich selbst zu verwirklichen (ich musste unwillkürlich an Michel Houellebecqs Romane denken). Doch dies ist nicht das einzige schlimme Ereignis, das Roland verarbeiten muss. Als vierzehnjähriges Kind wurde er in einem englischen Internat von seiner Klavierlehrerin missbraucht. Und erst spät wird ihm klar, wie sehr ihn dieses Erlebnis, für welches er lange nicht die richtigen Worte fand, geprägt hat und dass es eigentlich der Grund für seine Gelegenheitsarbeiten (unter anderem ist Roland Barpianist) ist. Auch Rolands Beziehungen zu Frauen gestalten sich schwierig, aber McEwan verfällt nie in Schwarzweißmalerei. Wie im richtigen Leben gibt es im Dasein des Helden Höhen und auch viele Tiefschläge. McEwans Geschichte ist insofern kein „Wohlfühlbuch“, aber es ist definitiv große Literatur, die der Autor präsentiert. Als Leser leidet man mit den Figuren, man erlebt aber auch die schönen Momente und man kommt definitiv ins Grübeln. Die nicht-lineare Erzählweise gefiel mir sehr gut, eine bloße Aneinanderreihung von Ereignissen hätte mich schnell gelangweilt; die verschiedenen Zeitebenen hielten mich ‚bei der Stange‘. Der Stil ist mal poetisch, mal banal, aber immer lesenswert! Ich spreche gerne eine Empfehlung aus.