Nicht mein Lieblings-McEwan

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petris Avatar

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Roland Baines ist der Protagonist dieses Romans. Aufgewachsen ist er in Libyen, wo sein Vater als Berufssoldat stationiert war. Nachdem es dort keine weiterführenden Schulen gibt für die Kinder von Armeeangehörigen, wird er in ein Internat nach England geschickt. Ein erstes traumatisches Erlebnis in seinem Leben, plötzlich ganz alleine, weit weg von seiner Mutter, im kalten England zu sein. Mit 15 wird er von seiner Klavierlehrerin verführt, es dauert lange, bis er diese Affäre als das sehen kann, was es ist, Missbrauch. Sein Leben lang verfolgt ihn diese Geschichte. Er macht seinen Schulabschluss nicht, lässt sich durchs Leben treiben, hält sich als Barpianist und Tennislehrer über Wasser. Stabilität gibt ihm sein Sohn. Auch hier eine tragische Geschichte. Die Mutter und Frau von Roland verlässt sie ohne Ankündigung als Lawrence nur wenige Monate alt ist. Sie verschwindet völlig aus ihrem Leben.
So begleiten wir Roland Baines bis ins hohe Alter durchs Leben, er erzählt von seinen Eltern, seiner Mutter, von Begegnungen mit Freunden, aber auch die großen Ereignisse der letzten Jahrzehnte des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts werden eingeflochten: Tschernobyl, der Mauerfall, die Anschläge auf die Zwillingstürme,…
Manche Rezensent:innen beschreiben diesen Roman als ein großes Werk, als ein Zeugnis der Menschlichkeit, einen Einblick in unsere Zeit. Mir waren in diesem Roman zu viele Themen, zu viele tragische Schicksale und zu viele Wendungen hineingepackt. Stellenweise wirkte das langatmig, oft ein wenig lieblos heruntererzählt. Dann gab es auch wieder sehr starke Episoden, die ausgefeilt und sehr auf den Punkt wirkten. Dazu zählen für mich die Begegnungen in Ostdeutschland, die Freundschaften, die Roland dort schloss. Und auch die späte Liebesgeschichte mit seiner besten Freundin. Das berührte mich, dort wurden die Geschichten lebendig. Aber insgesamt wirkte für mich vieles nicht ganz schlüssig, zu langatmig und zu sehr als Aneinanderreihung von möglichst tragischen und dramatischen Wendungen.
Ich mag die Romane McEwans sehr gerne, dieser hier ist definitiv nicht mein Lieblings-McEwan. Ein Roman mit Stoff für mindestens drei Romane, dann hätte es vielleicht auch mehr Intensität und Emotion gegeben. Leider konnte mich „Lektionen“ nicht begeistern.