Von Leoparden und Leopoldsäpfeln

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philipp.elph Avatar

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700 Seiten –diesen Umfang hat der neue Kriminalroman „Leopard“ von Jo Nesbø - sind für ein Buch dieser Art normalerweise 300 Seiten zu viel. 300 Seiten, die die Lösung des Falles verzögern, 300 Seiten mehr Belanglosigkeiten. Nicht so bei Nesbøs neuem Krimi. Eine derart komplexe Handlung, wie es bei Krimis selten der Fall ist, ist hier kombiniert mit dem Kampf gegen einen Karrieristen im nationalen norwegischen Kriminalamt, der etliche Versuche unternimmt, durch Intrigen, Einschleusen von Maulwürfen, Erpressungen und andere halb legale und gänzlich illegale Methoden die Aufgaben des Osloer Dezernat für Gewaltverbrechen dem Kriminalamt einzuverleiben und die Auflösung zu initiieren. Dagegen müssen Harry Hole und sein Chef kämpfen – wobei sie sich teilweise adäquat wehren.

Hauptsächlich müssen sie ihre Daseinsberechtigung allerdings nachweisen, indem sie eine neue Mordserie aufklären, die mit ungewöhnlicher Raffinesse und Abgebrühtheit durchgeführt wird.Doch dazu muss zunächst Harry Hole zurückgeholt werden.Der ist völlig von der Rolle und fristet sein Dasein in einer billigen Pension in einer üblen Gegend Hongkongs mit den einzigen noch verbliebenen Freunden - Alkohol und Opium.
Hinzu kommt, dass ihm die chinesische Mafia den Pass abgenommen hat und auf die Zahlung seiner Wettschulden wartet, Harry somit das Land nicht verlassen kann. Aber das scheint ihm auch egal zu sein.
Seitdem er bei seinem letzten Fall nach der Erfassung des Schneemanns und der Rettung dessen letzten Opfers den Polizeidienst entnervt und voller Frust quittiert hat, hat er mit seinem vorherigen Leben Schluss gemacht und würde am Liebsten ganz Schluss machen.
Eine junge Kommissarin erhält den Auftrag, Harry zurück zu holen. Dies gelingt ihr, indem sie Harrys Schulden begleicht, einen neuen Pass besorgt und ihn mit der Nachricht ködert, dass sein Vater sehr krank sei und Harry ihn doch besuchen möge.

Der Rückkehrer weigert sich zunächst, wieder im Dezernat zu arbeiten, kann sich aber schließlich weder mit seinen verbliebenen neun Fingern noch dem Verstand nicht der Aufgabe entziehen. Die Anzahl der Mordopfer mehrt sich zunächst, Harry findet die Spuren, das, was die Opfer verbindet, und er stößt auch auf ein Mordinstrument, das der Mörder mehrmals verwendete, den Leopoldsapfel.
Ermittlungen in Oslo, in den Gletscherfeldern und an anderen einsamen Stellen Mittelnorwegens führen Harry und dessen kleine Gruppe zu dem vermeintlichen Mordmotiv.
Die „Einkaufsquelle“ für den Leopoldsapfel findet Harry Hole, der sich bei seinen Ermittlungen mehrmals zwischen Erfolg und Misserfolg bewegt, schließlich in Afrika.
So pendelt der Protagonist zwischen den Welten – Norwegen und Afrika; Alkohol, Opium und klarem analytischen Verstand; Kriminalamt und Dezernat; Maulwurf und Mörder; Freund und Feind. Linien verwischen und zeichnen sich wieder ab, es sind ungewöhnlich komplexe Angelegenheiten, die uns Jo Nesbø schildert. Dazu braucht der Autor die 700 Seiten, an deren Schluss Harry Hole nach Lösung des Falles wiederum den Dienst beim Dezernat, für dessen Erhalt er erfolgreich mitgekämpft hat, quittiert, seine Brücken in Norwegen abbricht und einen neuen Job in Hongkong annimmt.
Damit müsste Harry Hole für Oslo und Norwegen verloren sein. Es mag sein, dass Jo Nesbø ihn dort oder an einem anderen Punkt der Erde irgendwann einmal neue Ermittlungen in schwierigen Fällen aufnehmen lässt.
Und wenn es denn so wäre, wären 700 Seiten nicht zu viel, um die Spannung aufzubauen und bis zum Schluss zu halten. Dass es solche Psychopathen wie den Leopard und seine Gegenspieler auf der Seite des Guten wie des Bösen überhaupt geben könnte, hatte ich mir bis zur Lektüre dieses Krimis nicht vorstellen können. Das war Faszination pur!