Geschichten von den Nordseeinseln

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annajo Avatar

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Marlene ist orientierungslos. Das Studium abgeschlossen, aber keine Ahnung, was sie nun weiter machen möchte, nimmt sie einen Job als Saisonkraft in einem Erlebnisdorf an. Auf der Insel Strand in der Nordsee gibt es eine Kostümgrenze. Ab diesem Punkt haben die Saisonkräfte ihre historischen Kostüme zu tragen, dahinter leben sie in Baracken und ihre eigenen täglichen Dramen. Bei einem Spaziergang begegnet Marlene Janne, die auf der Insel wohnt. Marlene entdeckt Gefühle für sie, die sie vorher nicht kannte, und denen sie sich erst einmal stellen muss. Doch hinter der historischen Fassade lauert noch einiges mehr.

Die Grundidee dieses Buches ist sehr faszinierend. Mit Marlene schauen wir hinter die Kulissen und sehen die versteckten Heizungen und die digitale Kasse unter dem historischen Gehäuse. Doch nicht nur der historische Anstrich ist eine Fassade. Auch die Einheimischen haben ihr Leben und ihre Sorgen, die jenseits dessen passieren, was die Tourist:innen sehen. Das Ganze spielt auf einer Nordseeinsel, die es so seit dem Mittelalter gar nicht mehr gibt. Bereits 1634 wurde die Insel eigentlich durch eine Flut auseinandergerissen. Die Nordseeinseln sind dem ständigen Wandel ausgeliefert und jede Flut könnte sie wieder verändern. Zusammen mit dieser Macht der See sorgen auch die eingestreuten Mythen aus dem Nordseeraum, insbesondere über die Stadt Rungholt, für eine durchaus manchmal beklemmende Atmosphäre und eine bedeutungsschwangere Grundstimmung. Dieses Setting ist überaus interessant und mehrdeutig und man kann einiges hineininterpretieren. Ohne jeglichen erhobenen Zeigefinger bietet die Geschichte auch Denkanstöße dazu, was den Nordseeinseln mit dem Klimawandel eigentlich droht.

Dennoch konnte mich das Buch nicht so recht überzeugen. Vielleicht soll Marlene die neue Generation der Dreißigjährigen verkörpern, aber mit ihren fast 30 Jahren kam sie mir sehr unreif und entscheidungsunwillig vor und wirkte daher recht jung und naiv auf mich. Auch nimmt die Geschichte um Marlene und Janne viel Raum ein und war streckenweise recht zäh ohne wirkliches Vorankommen. Das Erzähltempo war zwischenzeitlich für meinen Geschmack zu langsam und die Geschichte zu ruhig und handlungsarm. Auf die angekündigten Merkwürdigkeiten muss man sehr lange warten und am Ende wirkt die Handlung dann ziemlich überstürzt. Ich hätte mir insgesamt noch mehr Nordseeflair und Handlung und dafür weniger Fokus auf die kleinsten Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen gewünscht. Die Idee und das Setting (Erlebnisdorf) fand ich aber prinzipiell originell und interessant und auch die verschiedenen Bedeutungsebenen fand ich eigentlich gut gelungen. Nur konnte mich das Buch am Ende eben doch nicht komplett abholen.