Leider nicht überzeugend

Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
kainundabel Avatar

Von

Irina kann sich ein Leben ohne Lawrence nicht mehr vorstellen, auch wenn die Liebe im Laufe der gemeinsam verbrachten zehn Jahre nicht mehr ganz so heiß brennt. Aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Person kann das gewohnte Leben eine andere Richtung nehmen. Irina erliegt dem Charme von Ramsey, dem gemeinsamen Freund, als Lawrence sich in Sarajewo aufhält. Auch wenn der Name der Stadt als Synonym für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs steht, kann der Leser beruhigt sein: Ganz so katastrophal wird es im Buch nicht!

Vorab: Es ist ein Buch für Leser **innen**. Eine Frau, zwei Männer (oder umgekehrt) ist nun einmal die Konstellation, die für Gefühlschaos sorgt, Konventionen infrage stellt und Freiheit suggeriert, die man/frau nicht hat, sich aber insgeheim sehnlichst wünscht. Lionel Shriver balanciert geschickt auf den Lebenswegen ihrer Protagonisten, führt zusammen und trennt, spielt mit Sehnsüchten und Heimlichkeiten und trifft damit den Geschmack derjenigen, die sich von diesem Thema in allen denkbaren Variationen berühren und konsequenterweise vereinnahmen lassen (möchten). Shrivers Schreibstil entpuppt sich als lakonisch und durchaus gefällig, erfreulich die direkte Wortwahl. Allerdings ist sie stellenweise - vor allem bei ihren Vergleichen - so (unfreiwillig?) komisch, dass man beim Lesen innerlich aufjault, etwa dann, wenn "ihr ganzer Oberkörper wahrscheinlich nicht signalrot blinkte wie ein Bahnübergang" oder wenn Lawrence' Fingerfertigkeit beim leider nicht millimetergenauen Spiel mit Irinias Klitoris sie an ihre jugendlichen Liebhaber erinnert, die "die Victoria Falls schon fast erreicht zu haben" glaubten, in Wirklichkeit aber in "gefühllosen arktischen Gewässern" paddelten. Das muss einem erst einmal einfallen!

Für mögliche künftige Leserinnen sei hier nicht zu viel verraten. Nur so viel: Das Schicksal mischt kräftig und erbarmungslos mit und sorgt dafür, dass das Ende in Tragik und in der Wiederherstellung aller Konventionen gipfelt. Und gerade das überrascht - aber nicht im positiven Sinne. Wer sich wie Shriver auf dieses Terrain begibt, sollte sich vorab überlegen, ob ein Happyend unausweichlich ist. Das wirkliche Leben geht andere Wege.