Sprachlos

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tochteralice Avatar

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lässt mich dieses wunderbare, erstaunliche, aufrüttelnde, kluge, humorvolle, eloquente und weise Buch zurück - und zudem in der Hoffnung, dass die Autorin Nina Blazon bald wieder einen "Erwachsenenroman" mit vergleichbarer Thematik verfassen wird. Normalerweise sind nämlich eher Fantasy, Historisches und Jugendliteratur ihre - bereits durchaus vielseitigen - Genres. Ihr neuer Roman rundet dieses Oeuvre trefflich ab: etwas so Originelles, so wenig Adaptiertes und damit im allerpositivsten Sinne Eigenes (keineswegs jedoch Eigenartiges oder Eigentümliches) habe ich selten gelesen und so trafen mich ihre Worte, ihre Botschaften wie eine riesige Welle.

Wir treffen auf die Fotografin Mo, eigentlich Moira, die meint, in Leon endlich ihrer großen Liebe begegnet zu sein. Er nimmt sie mit zu einer Familienfeier, auf der Mo ein Riesendesaster erlebt - aber auch Aino, Leons aus Finnland stammender Oma begegnet und sich mit ihr nach einer wilden Jagd auf einem Schiff nach Finnland wiederfindet, wo sie erstmals nähere Bekanntschaft mit Finnen, vor allem mit der überaus eigentümlichen Spezies der finnischen Männer macht. In Helsinki, dessen Beschreibung jedem, der die Stadt bereits kennt, lebendige Erinnerungen bescheren wird, stellt sich heraus, dass Aino auf der Suche nach einer Freundin aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs ist, die sie lange Zeit für tot hielt. Es gab nun aber Hinweise darauf, dass sie zumindest die Kriegsjahre überlebt hat - weilt sie etwa noch unter den Lebenden? Mit einem Fingerzeig aus der Vergangenheit begeben sich Aino und Mo auf eine Spurensuche, die immer mal wieder Assoziationen mit den "Leningrad Cowboys" und anderen Filmen der Kaurismäki-Brüder aufkommen lässt. Dabei wohnen sie bei dem jungen Aarto, der selbst einem dieser Kaurismäki-Filme entstiegen zu sein scheint und mit seiner Präsenz die Geschichte erst richtig rund macht. Wer also einen Sinn für das Skurrile, das Humorvolle, das Reduzierte und nicht zuletzt für die finnische Seele hat - der ist hier richtig aufgehoben und wird wie ich mit Kummer den letzten Seiten des Buches entgegensehen.

Aber davor passiert noch so einiges - jede Menge Action, wenn auch auf die finnische und somit eher reduzierte Art, die jedoch voller Überraschungen steckt. In gewisser Art und Weise ist dies nämlich ein Road Movie in Buchform, der Aino und Mo einen Parcours durch die Gegend, aber ebenso in vergangene Zeiten beschert, auf dem sie auf faszinierende Typen beiderlei Geschlechts treffen.

Und nicht zuletzt ist die Art, in der Aino, Aarto und vor allem Mo die Welt sehen, eine unglaublich faszinierende. Sätze wie
"Ich weiß schon, warum meine Fotos Beweise sind: Weil sie nicht zulassen, dass Wirklichkeiten einfach wieder verschwinden, als hätten sie nie existiert." (S. 201)
oder
"Es ist verrückt, dass es immer wieder Bilder sind, die mich aus meinen kleinen Paradiesen vertreiben." (466)
oder
"Es ist eine Sache, nicht an die Familie zu glauben, aber eine ganz andere, sie zu verlieren." (S. 501)
versetzen den Leser in neuartige, nie zuvor erahnte Dimensionen.

Ich muss sagen, so etwas habe ich noch nie gelesen und wie bereits eingangs erwähnt, hoffe ich sehr, dass dies nicht der einzige "Erwachsenenroman" dieser so grandiosen Autorin bleiben wird. Mit so etwas meine ich eine absolut gelungene Melange aus Entwicklungsroman, Liebesgeschichte(n), Familienroman, historischem Hintergrund, Humorvollen, psychologischen Themen und, und, und. Ich empfehle Ihnen von Herzen, das selbst zu überprüfen! Ich selbst warte jedenfalls gespannt und - wie ich zugeben muss - nicht sonderlich geduldig auf den nächsten Wurf von Nina Blazon!