Tanzen, tanzen, tanzen ... gegen die Armut, die Hungernot und und und

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magdas_buecherwelt Avatar

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Anne Stern zählt zu meinen Lieblingsautorinnen, und ich habe mich schon sehr auf ihr neues Buch gefreut. Das Cover finde ich wunderschön mit der goldenen Schrift und den beiden jungen Frauen, die nach der damaligen Mode gekleidet sind. Wie ihre Reihe um die Hebamme Hulda Gold spielt der Roman zu Zeiten der Weimarer Republik in Berlin.
1928: Wally Kaluza leitet eine Tanzschule und träumt davon, eine Tanzgruppe zu gründen, die so herausragend ist, dass sie in den schönsten Revuepalästen der Stadt auftreten kann. Nach und nach findet sie acht tanztalentierte Mädchen und das schweißtreibende stunden- und tagelange Training in den Abendstunden beginnt. Tagsüber gehen die jungen Frauen einem Broterwerb nach.
Alice arbeitet in einer Fabrik und ernährt mit ihrem Verdienst auch ihren Bruder. Thea kommt aus behüteten Verhältnissen, und hat ihr Elternhaus verlassen, um einer arrangierten Ehe zu entkommen. Gila ist Sekretärin in einer Zeitungsredaktion und träumt davon, einen Roman zu schreiben.
Toni Lindberg ist ein alter Bekannter von Wally, er bietet sich als Manager der Tanzgruppe an. Da Wally bereits die Erfahrung machen musste, dass die meisten Männer ungern mit Frauen verhandeln, geht sie auf Tonis Angebot ein. In der Tat schafft dieser es, der Gruppe Aufträge zu beschaffen.
Die Kapitel sind aus der Perspektive der Protagonist*Innen geschrieben: Wally, Alice, Gila, Thea, Toni, Jo und Friedrich. Jo kennt Wally noch aus ihrer gemeinsamen Heimat Beuthen in Schlesien, er ist auch der Einzige, der Wallys Geheimnis kennt. Friedrich ist Straßenbahnfahrer und rettet Alice‘ Bruder Benjamin, bevor dieser von Nazis fast totgeprügelt wird.
Leider konnte mich dieser Roman von Anne Stern nicht ganz so begeistern wie ihre anderen Werke, was daran liegen könnte, dass ich mit Charleston, Shimmy, Lindy Hop und der dazugehörigen Musik nicht viel anfangen kann, die Beschreibung des Tanztrainings und der Auftritte jedoch sehr viel Raum in dem Roman einnimmt. Hinzu kommt, dass es in dem Roman sehr viele Protagonist*Innen gibt, deren Probleme und Gedanken nur kurz angerissen werden: Armut und Hungersnot, Straßenkinder, aufkommender Nationalsozialismus, Antisemitismus, unerwiderte Liebe, ungewollte Schwangerschaft/Abtreibung, Kriegstrauma, Drogenkonsum. Es hätte mir besser gefallen, wenn die Autorin sich, wie in ihren anderen Romanen, auf eine oder zwei Protagonistinnen konzentriert hätte und deren Probleme tiefgründiger behandelt hätte. Nichtsdestotrotz liebe ich Anne Sterns poetischen und bildhaften Schreibstil und spreche eine Leseempfehlung für Leser*Innen von historischen Romanen und insbesondere solchen, denen die Musik der 1920er Jahre gut gefällt.