Sezierung einer Obsession für einen Frauenmörder

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Hannah ist frustriert, weil ihre beste Freundin heiratet und ihr eigenes Leben anders läuft als erhofft. In einem True-Crime-Forum sucht sie Ablenkung. Die Mitglieder versuchen, Morde an vier Frauen aufzuklären, die allesamt in derselben Schlucht in Atlanta gefunden wurden. Als ein gutaussehender Anwalt verhaftet wird und immer mehr Beweise gegen ihn sprechen, beginnt Hannah ihm wütende Briefe ins Gefängnis zu schreiben... und erhält Antwort...
Letzten Monat (Aug'24) war das Thema in den sozialen Medien allgegenwärtig, das Tasha Coryell in ihrem Debüt aufgreift. Unzählige Menschen schwärmten unverhohlen und öffentlich über den inzwischen verurteilten, mehrfachen Frauenmörder Wade Wilson. Man könnte meinen, es handle sich um Einzelfälle, doch der Prozess und der aktuelle Hype um Dark Romance vermitteln den Eindruck, dass das sexuelle Interesse an Schwerverbrechern, die sogenannte Hybristophilie, zunehmend salonfähig wird.
"Love Letters to a Serial Killer" gewährt uns Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt einer "dieser Frauen".
Tasha Coryell schreibt in einem leicht verständlichen und flüssigen Stil kurze Kapitel, durch die man nur so durchfliegt. Der Prolog wirkt durch seinen beinahe humorvollen Ton etwas befremdlich und provokativ, doch nach und nach wird uns die Protagonistin Hannah nähergebracht, und man kann sich in ihre Ansichten aus ihrer Perspektive durchaus hineinversetzen – mal mehr, mal weniger. In der ein oder anderen Alltagssituation erkennen sich bestimmt viele von uns mit einem Schmunzeln oder einem Stirnrunzeln wieder. Das macht die Entwicklung des Charakters um so faszinierender. Durch die Ich-Perspektive spürt man förmlich, wie der Frust über die Mittelmäßigkeit ihres Lebens eine Tür aufstößt und Hannah allmählich die vermeintliche Kontrolle verliert, wodurch sie ihre besondere Vorliebe in sich entdeckt.
Andere Sichtweisen gibt es nicht, nur in dem Briefverkehr bekommt man auch ein paar Einblicke in das Innere unseres begehrten Mörders William.
Hannah ist ein Charakter, für den ich Mitgefühl empfinden konnte, ich fand sie aber auch häufig zum Fremdschämen. Abgesehen von ihrer offensichtlichen Paraphilie, die Dreh- und Angelpunkt des Werkes ist, haben mir einige ihrer anderen Eigenheiten ein gewisses Unwohlsein verursacht. Ihre ständige, extreme Selbstkritik und Unsicherheit, vor allem, aber nicht nur in Bezug auf ihr Äußeres, waren auf Dauer etwas anstrengend. Doch mit seinen 352 Seiten hat das Buch eine ideale Länge, um die Leselust aufrecht zu erhalten.
Hannahs zum Teil nachvollziehbare, zum Teil bizarre Gedankengänge machen den Reiz des Romans aus. Es ist eher Neugier als Spannung, die einen anzieht. Für Thriller-Leser kommt der Twist gegen Ende nicht überraschend aber trotzdem muss ich sagen, etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gelesen und ich wurde richtig gut unterhalten.
Wie die Geschichte für Hannah endet, entspricht zwar nicht meinem Geschmack, aber abgesehen davon ist "Love Letters to a Serial Killer" ein empfehlenswerter Roman für True Crime Fans und alle anderen, die das Thema interessiert.