Was ist real und was ist gelogen?

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Michaela Michalsen erfährt an ihrem Geburtstag, dass sie ihr Mann David nicht mehr liebe. Später wird ihr auch noch gesagt, sie habe den Anruf der Klassenlehrerin ihrer Tochter Karla verdrängt. Erst Stunden später erhält David die Nachricht, dass ihre zwölfjährige Tochter Karla im Krankenhaus liegt. Michaela kann sich an dieses Telefonat nicht erinnern, wohl aber an Davids Sätze. Dieser bestreitet das vehement, sodass sie beginnt, an ihrem Verstand zu zweifeln. Nur ihre langjährige Freundin Bea Bern kümmert sich scheinbar rührend um das Wohl der Freundin und ist stets zur Stelle, wenn Not am Mann ist. Nur die Entscheidung, vorübergehend aus der ehelichen Wohnung auszuziehen und beim Hüten eines Hundes wieder zur Ruhe zu kommen, trifft Michaela allein. Ein für den Leser verwirrendes Fädenziehen zwischen drei Schauplätzen beginnt.

Der Roman hat mit Lügentanz einen überaus treffenden Titel erhalten. Die vorgestellten Situationen um Michaela, David, Bea und der heimatlosen Lena werden scheinbar zusammenhanglos positioniert. Ein Ehepaar hat sich unter der schwierigen Situation einer Psychose auseinandergelebt. Die beste Freundin der Ehefrau springt erneut helfend zur Seite. Eine junge Frau sucht nach einer Enttäuschung in neuer Umgebung einen Neuanfang. Geschickt und plausibel fügt Ivonne Keller die Lebenswege der zwei Hauptfiguren zusammen. Die beiden freunden sich an und geben in Gesprächen kurze Einblicke in ihr bisheriges Leben. Doch nun stellen sich neue Fragen. Was entspricht der Wahrheit und was wird von jemandem verheimlicht? Der Leser ist dabei immer einen Schritt voraus und erahnt schnell, dass die Kombination der drei Frauen nicht schmerzfrei bleibt.

Der Thriller lässt eine beklemmende Atmosphäre entstehen. Zum einen ist das Thema der psychischen Traumata ein sehr persönliches, in das normalerweise nur sehr nahestehende Personen in diesem Umfang Einblick erhalten. Dennoch hat der Leser immer eine Distanz zur Protagonistin, die durch eine Mischung zwischen Vertrautheit und Oberflächigkeit erhalten bleibt. Wie ein Beobachter sieht man die drei Frauen um die gegenseitige Gunst werben, um gleichzeitig die Gefahr zu erahnen. Weiterlesen lässt einen die Neugier, wie es zu diesen Verhaltensauffälligkeiten kommen konnte und vor allem, welche Rolle David und Bea in der Geschichte spielen. Die Amnesie von Michaela gibt ihnen einen großen Spielraum.

So ausführlich die Autorin das Leben der Charaktere beschreibt, so schnell kommt sie dann zum Ende. Der durchaus einnehmende Schreibstil bekommt dadurch den Effekt einer kalten Dusche. Schreibtechnisch ist das eine hervorragende Arbeit, die den Leser mitten ins Geschehen zieht und ihn dann plötzlich verlässt. Gerade zum Ende hin erwecken manche Dialoge und Handlungen einen hölzeren Eindruck. Wenngleich die fehlende Logik in manchen Teilen das Verständnis für die psychischen Erkrankungen verdeutlichen, möchte ich doch als Leser danach wieder eingefangen werden. Insofern verdient der Thriller eine Leseempfehlung mit kleinen Abstrichen.