Der Traum einer Wissenschaftlerin

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
monika_brigitte Avatar

Von

„Über den kristallisierten Barium- und Wismutbrocken, die sich auf den Tischen in Glasschalen häuften, lag ein überirdischer Schimmer, ein schwaches, bläuliches Leuchten. (…) Ganz ergriffen von diesem atemberaubenden Schauspiel standen sie still und staunten. Lange sprach keiner von ihnen ein Wort. >>Ist das nicht wunderbar?<<, flüsterte Pierre irgendwann. >>Ich komme mir vor wie im Traum.<< Seine Stimme klang ehrfürchtig. >>Das ist ein Traum<<, sagte Marie. >>Das ist unser Traum.<< Sie zog seinen Kopf zu sich hinunter und küsste ihn auf den Mund. (S.392)

Marie Sklodowska Curie – eine einzigartige Persönlichkeit, die durch ihr Wirken die Grundfesten des Patriarchats erschütterte. Die erste Frau, die an der Sorbonne in Paris vor Studierenden beider Geschlechts unterrichten durfte. Die erste, die einen Nobelpreis erhielt. Ja, sogar der erste Mensch überhaupt, der wenige Jahre danach noch einen zweiten gewann. Ihr fast sorgloser Umgang mit radioaktiven Substanzen mag heutzutage sehr kontrovers gesehen werden, doch ihre aufopfernde Bereitschaft für die Wissenschaft und deren Fortschritt muss ihr jeder hoch anrechnen. Unbewusst erreichte Madame Curie mit ihrem Wirken einen bedeutenden Schritt für die internationale Frauenbewegung und Gleichstellung.

Susanna Leonard, die in Karlsruhe und Paris aufgewachsene Autorin, ließ sich von der beeindruckenden Persönlichkeit Marie Curies faszinieren und inspirieren. Im September 2020 erschien ihr historischer Roman „Madame Curie und die Kraft zu träumen“ im Ullstein Taschenbuch Verlag und ein kleiner Traum ging damit für sie in Erfüllung.

Aufbau

Der Roman ist nicht chronologisch aufgebaut, er springt dreimal in der Zeit und beginnt im Jahre 1926, in welchem Marie 59 Jahre alt ist. Sie befindet sich auf einem Friedhof in Paris und trifft auf eine ehemalige Studentin und deren Mutter, sie unterhalten sich und Marie beginnt von ihrem Leben zu erzählen und blickt 51 Jahre zurück. Doch die Geschehnisse werden nicht in der Ich-Erzählweise vorgetragen sondern, es beginnt quasi eine zweite Geschichte. Maria Sklodowska, genannt Mania, wächst im von Russland besetzten Polen auf und lebt mit ihren Eltern und vier Geschwistern in Warschau. Diese Zeit wird sie für ihr restliches Leben stark prägen. In Polen ist es Mädchen verboten zu studieren, doch Marie will ihren Traum nicht aufgeben und mehr über Physik und Chemie lernen, also folgt sie ihrer großen Schwester Bronia nach Paris. Dort lernt sie ihre beiden großen Lieben kennen-den Physiker Pierre Curie & die Radioaktivität.

Übereinstimmung mit historischen Fakten

Sehr gelungen fand ich bei diesem Roman die Darstellung der Unterdrückung der Polen durch das russische Kaiserreich unter Zar Alexander II., die Freiheitsliebe der Marie Curie und ihre tiefe Verbundenheit mit ihrer Heimat und ihrer Familie. Dadurch konnte ich mir sehr gut vorstellen, warum sie ihr zuerst entdecktes Element Polonium genannt hat.

Alle Lebensereignisse wurden faktisch korrekt wiedergegeben, soweit ich das in meiner eigenen Recherche (Wikipedia + Dokumentation) feststellen konnte. Im Nachwort erwähnt die Autorin weitere Fakten, die sie zuvor in ihrer Geschichte noch unerwähnt ließ und resümiert in Kürze den Charakter Marie Curies in Bezug auf ihren sorglosen Umgang mit dem Radium, das hat mir sehr gefallen.

Fachliche Kompetenz

An einigen Stellen im Roman hätte ich mir persönlich fachlich tiefgehende Erläuterungen gewünscht. Ich habe selber in der Oberstufe Chemie und Physik abgewählt und bin fachlich nicht sehr kompetent aufgestellt und benötige daher etwas mehr Fakten. Die fehlten mir hier. Als Beispiel, des Öfteren wird erwähnt wie rar das Element Radium ist, dass es sehr viel Pechblende braucht um auch nur einen winzigen Prozentsatz zu erhalten. „Marie schüttelt den Kopf. >>Ich glaube, dass auf ein Kilogramm Pechblende allerhöchstens ein Gramm Radium kommt.<< Wenn sie an diesem Tag gewusst hätte, wie gründlich sich beide täuschen, hätten sie ihre Forschungsarbeit womöglich sofort abgebrochen“ (S.381). Es wird im Roman nie aufgeklärt wie nun das Verhältnis steht. Ich habe daraufhin selbst nachgeschaut, auf eine Tonne Uraninit (Pechblende) kommt gerade mal 0,01g Radium.

Susanna Leonard konzentriert sich stark auf die Kindheit und Jugend, wodurch Maries Begegnung mit Pierre Curie erst in der zweiten Hälfte des Romans geschildert wird und über Maries Leben nach dem Tod ihres Mannes nur verkürzt berichtet wird. Auf den massiven psychischen Druck durch die reißerische Presse wird nicht großen Bezug genommen. Die Aufteilung in drei Teile mit Zeitsprung hat mich im mittleren Teil eher aus der Geschichte gebracht als mir einen Mehrwert zu geben. Ich kann verstehen, dass die Autorin auf die große Teilhabe ihrer Protagonistin an der Emanzipation eingehen wollte, aber das wiederholte Einbauen jungen Damen, die Marie nach ihrer Sicht auf das Leben und die Liebe fragen, hätte es nicht gebraucht. Das lässt sich auch durch den geschichtlichen Kontext erschließen. Marie Curie hat sich schließlich selbst nicht als Frauenrechtlerin gesehen und wurde eher von anderen dafür instrumentalisiert.

Fazit
MADAME CURIE UND DIE KRAFT ZU TRÄUMEN von Susanna Leonard ist ein historischer Roman über das Leben der Maria Sklodowska Curie. Diese wird als sehr herzlich und ehrgeizig beschrieben. Der Fokus liegt auf der Kindheit und Jugend der beeindruckenden Physikerin & Chemikerin sowie ihrer feministischen Wirkung auf die Nachwelt. Der Autorin ist es gelungen die, auf den Fotografien ernst dreinblickende, Forscherin gefühlvoll und menschlich dem Leser nahezubringen. Auch wenn es sich „nur“ um einen Roman handelt und nicht um eine Biografie fehlen zum Teil wichtige physikalische und chemische Fakten. Davon habe ich mir mehr erwartet. Wer sich mit der Person Marie Curie noch nicht viel beschäftigt hat, kann mit diesem Roman nichts falsch machen!

Kleiner Fun-Fakt: Selbst Marie Curies Kochbuch ist heute noch so radioaktiv belastet, dass es unter bleiernem Schutz verwahrt wird und nur unter Sicherheitsausrüstung betrachtet werden darf. Die Halbwertszeit von Radium beträgt bis zu 1602 Jahre.

MADAME CURIE UND DIE KRAFT ZU TRÄUMEN| Susanna Leonard| Ullstein Taschenbuch Verlag| September 2020|463 Seiten| 11,00€