Symbolträchtig

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nathalielamieux Avatar

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Dieses Cover hatte mich sofort, der Titel versprach viel, daher freute ich mich sehr auf die Lektüre von „Männer sterben bei uns nicht“ von Annika Reich. Dreh-und Angelpunkt der Geschichte ist das große Anwesen am See, das von Luises Großmutter rigide geführt wird. Vier weitere Häuser stehen um das Haupthaus herum und dort versammelt die Matriarchin ihre Tochter Marianna mit ihrer erwachsenen Olga, ihre Schwiegertochter Ingrid und ihre erwachsene Tochter (Luise) und die Mutter ihrer Schwiegertochter, Großmutter Vera. Als nun die namenlose Großmutter stirbt – sie braucht keinen Namen, sie ist die Matriarchin – treffen sich alle Frauen der Familie auf der Beerdigung wieder. Auch zwei Frauen, die nicht dort wohnen, da sie von der Großmutter verstoßen wurden. Luise erzählt nun in Rückblicken und Gedanken ihre Frauenfamiliengeschichte, in der Männer nicht vorkommen. Für sie steht das fünfte Haus auf dem Anwesen unbewohnt, aber nicht leer. Wie in einem Schrein werden dort Erinnerungen an die Männer der Familie verwahrt, eingestaubt, im Dunklen und abgeschlossen. Denn die Männer sind nicht gestorben, sie sind irgendwie verlorengegangen. Dieses abgeschlossene Haus ist ein Symbol für all das Verschweigen, Abschließen und Verdrängen von Emotionen in dieser Familie. Nachdem der Großvater aus dem Leben der Großmutter verschwand, lies sie dies nicht zu, sondern befahl dennoch jeden Tag ein Essensgedeck für ihn aufdecken, verfasste Einladungen in ihrem gemeinsamen Namen und lies sich Geschenke in seinem Namen schenken. Denn selbst als Herrin über diese Familie, der sie ihren Stempel aufdrückt, ist sie als Frau alleine nicht so stark wie gemeinsam mit einem abwesenden Ehemann. Und alles, was an Schwäche an den Tag kommt, muss ausgemerzt, weggesperrt oder verdrängt werden. So beeinflusst sie jede Entscheidung und jeden Umgang mit etwas mit ihren rigiden Vorstellungen, mischt sich ein und diktiert, von Mode, Inneneinrichtungen bis zu Gefühlen. Und wer Schwäche aufdeckt oder ein Risiko für das Zeigen ihrer eigenen Schwäche ist, muss gehen. So verstößt sie auch Frauen aus ihrer Familie, die ihren Ansprüchen nicht genügen oder ihr Bild nicht aufrechterhalten können oder wollen.
Es gefiel mir gut zu sehen, dass auch in der Abwesenheit von Männern eine Gesellschaft von Frauen dennoch von dieser Abwesenheit geprägt wird. Wer sind wir ohne Männer und warum beeinflussen uns die Bedingungen des Patriarchats auch, wenn sie gar nicht unter uns weilen? Warum sind Frauen härter zu Frauen, als sich zu unterstützen? Und was macht das alles mit unserer Wahrnehmung von Grenzen?
Ein Buch voller Symbole über Grenzen, Wissen und Protest. Besonders freute ich mich über die Pantherbrosche, ein Symbol für die weibliche Erhabenheit und Souveränität, hinter der sich dennoch eine wilde und dominante Raubkatze versteckt. Diese berühmte Brosche von Cartier mit den Smaragdaugen wird Luise von der Großmutter vererbt, der Panther solle sie schützen. Doch noch vor der Beerdigung fehlt ihr ein Auge... Das majestätische Tier ist halbblind. Wie die Frauen. Halbblind für die Frage, woher die toten Frauen im See kommen, woher das Geld für diese Preziosen und das Anwesen stammen, wohin die Männer verschwunden sind…
Eine Lektüre, die leicht daher kommt, aber nachdenklich zurücklässt.