Mutter

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GELESEN: Ursula Wiegele „Malvenflug“
Erschienen am 24.02.2023 bei Otto Müller-Verlag, Salzburg
223 Seiten

Das Fresko aus der Villa „Livia“ in Prima Porta, welches im Original im Römischen Nationalmuseum Palazzo Massimo zu bewundern ist, wurde hier als Cover von Leopold Fellinger für die Umschlaggestaltung verwendet. Unter diesem Schutzumschlag verbirgt sich ein in sonnengelbes Leinen gebundenes Büchlein, welches gleich zu Beginn über ein übersichtliches Personenverzeichnis verfügt. Schwierig fand ich im zweiten Teil die Sprünge zwischen den Zeiten. Kaum ist man in der Gegenwart angekommen, geht es schon wieder Jahre zurück in die Vergangenheit. Hier kann man leicht den Überblick verlieren. Somit war der erste Teil besser gegliedert. Dieses Schema hätte man beibehalten sollen.

Sehr österreichisch erzählt Ursula Wiegele die Geschichte der Familie Prochazga, beginnend in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Im ersten Teil, der in kurzen Kapiteln aufgebaut ist und zwischen 1940 und 1945 spielt, lernen wir zuerst Pavel, einen rechten Nichtsnutz, kennen, der in Graz lebt, sowie seine geschiedene Frau Emma, welche in Davos von früh bis spät in einer Küche arbeitet, um die Schulden zu begleichen.
Ihre 4 Kinder sind aufgeteilt, da sich weder Vater noch Mutter kümmern.

Fast jeden Tag liest Emma die sehnsuchtsvollen Briefe ihrer Kinder. Einzig Alfred, inzwischen 14 Jahre alt, besucht die Mutter. Er lebt im Internat „Napola“ in St. Pola im Lavanttal. Alfred ist Jungmann mit Zweifeln. Er hatte eine Erscheinung, die er nur seiner ältesten Schwester Helga, Klosterfrau bei den Schulschwestern in Graz, anvertraut.

Emma, inzwischen Parteimitglied der NSDAP, wurde im Hotel gekündigt. Nun arbeitet sie in der Deutschen Heilstätte in Davos und denkt an die sechs Wochen, die sie mit Alfred verbracht hat, während sie Socken und Fäustlinge fürs Winterhilfswerk strickt. Auch Alfred bekommt eine Garnitur mit Hakenkreuzen, nicht mit Rentieren.

Die dreizehn Jahre alten Zwillinge Lotte und Fritz leben in Brünn bei den Großeltern väterlicherseits. Lotte ist ebenso musikalisch wie ihr Vater Pavel. Täglich spielt sie auf dem Klavier der Großmama, mittlerweile fehlerfrei, und hofft, endlich wieder ihre Mutter zu sehen. Sie denkt auch viel an Alfred und hofft, dass dieser nicht eingezogen wird.

Die Großmama bittet Emma um Rückkehr nach Brünn, damit sie sich um die Zwillinge Lotte und Fritz kümmert. Diese bleibt in Davos, auch als die Schulden bezahlt sind. Jetzt spart sie weiter für die Zeit nach dem Krieg.

Als ein Brief von Helga, ihrer Ältesten, Emma erreicht, denkt sie, dass diese sich um ihre Geschwister kümmern sollte, aber Helga, einst Klosterfrau, arbeitet jetzt im Blindeninstitut in Graz. Diese Tochter ist Emma immer fremd geblieben.

Pavel soll sich nun kümmern, die Zwillinge in Sicherheit zu bringen. Er verlässt seine zweite und blutjunge Ehefrau Gisela mit den beiden kleinen Kindern, geht unterwegs eine Liebschaft ein und sympathisiert je nach Notwendigkeit mit Weggefährten. Kurz vor Kriegsende hat er vorsichtshalber sein Parteiabzeichen entsorgt.

Der Krieg ist vorbei, aber Emma kehrt noch immer nicht nach Hause zurück. Dass sie Schwierigkeiten hat, schreibt sie nicht an ihre Familie. Als glühende Nationalsozialistin wird die Ausreise aus der Schweiz schwierig.


TEIL II

Nun erzählt Helga, die, inzwischen ledig, den Sohn Michael mit dem Sizilianer Mauro De Luca hat. Es gilt, fünfzehn Personen zu bewirten zum 85. Geburtstag ihrer Mutter Emma, die an diesem Tag verkündet, sich zukünftig nicht mehr weiter als in einem Radius von 120 km bewegen zu wollen. Lotte und Alfred kommen mit ihren Familien. Fritz bringt einen Freund mit. Michael wird im Garten mit seiner Familie die Zelte aufschlagen.
Helga lässt ihr Leben noch einmal Revue passieren. Mauro ist nicht mehr am Leben. Nun ist Max an ihrer Seite.
Wir erfahren, wie Helga in Sizilien eine Stelle annimmt und dort Mauro kennenlernt, wie Lotte sich immer mehr zur Familie des Vaters hingezogen fühlt, wie abwertend die Mutter über Helga sprach.

Alfred, einst Pfarrer mit Leib und Seele, hat sich umentschieden und wurde mit über fünfzig noch Vater von drei Kindern. Seine Frau Monika kannte er schon, als diese noch ein Baby war.

Die Erzählung hat mich nicht unberührt gelassen. Hauptsächlich die zögerliche Mutter, die so große Unterschiede zwischen ihren Kindern machte und stets ihre Arbeit als Vorwand benutzte, um anderen die Erziehung zu überlassen.
Pavel, der gab, was er konnte, und trotzdem als Vater versagte.