Ein richtiges Lesevergnügen!

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corsicana Avatar

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Anna Kerrigan wächst in den 30er Jahren in New York auf. Die Weltwirtschaftskrise trifft ihre Familie hart. Die Mutter kann nicht mehr als Tänzerin arbeiten, da sie sich um Annas behinderte kleine Schwester kümmern muss. Und der Vater hält die Familie mit Gelegenheitsjobs im Hafen über Wasser. Als das nicht mehr reicht und Lydia einen Rollstuhl braucht, sucht der Vater den Kontakt zu Dexter Styles, einem Geschäftsmann aus dem Ganoven-Milieu, der unter anderem mit Nachtclubs und illegalen Spielstätten sein Geld verdient.

Anna lernt Dexter Styles als 12jährige nur kurz kennen. Aber er wird in ihrem Leben noch eine Rolle spielen.

1943 ist Anna um die 20, der 2. Weltkrieg tobt und Annas Vater ist schon seit Jahren spurlos verschwunden. Die Mutter arbeitet Zuhause als Näherin und Anna arbeitet in der Marinewerft von New York. Anna hat großes technisches Geschick und will unbedingt Taucherin werden und Kriegsschiffe unter Wasser reparieren. Doch eine Frau als Taucherin? Unvorstellbar! Für Männer. Aber irgendwann sind alle Männer an der Front. Und Frauen werden widerwillig in die Arbeitsbereiche der Männer aufgenommen.

Anna wächst in ein eigenständiges Leben hinein, verdient gut und als sie Dexter Styles wieder trifft, begibt sie sich auf die Suche nach ihrem Vater. Und die Geschichte wird sehr spannend.


Jennifer Egan ist mit diesem Roman ein wahrhaft feministisches Buch gelungen. Und nicht nur die Ungleichbehandlung von Frauen ist Thema - auch Rassismus und weitere Ungerechtigkeiten finden ihren Ausdruck.
Hört sich jetzt nach einer trockenen Lektüre mit erhobenem Zeigefinger an? Ist es aber nicht - im Gegenteil. Die Gabe von Jennifer Egan ist das Erzählen. Sie schafft es mit einer wunderbar klaren und doch poetischen Sprache eine ganz eigene Atmosphäre zu schaffen. Als Leser taucht man ein in die Geschichte, kann sich die Schauplätze gut vorstellen, die Konflikte spüren. Und kann sich in die verschiedensten Charaktere einfühlen. Jeder Charakter ist lebensecht gezeichnet, mit allen Facetten, negativen und positiven Zügen. Auch ein Gangster wie Dexter Styles schleicht sich irgendwie ins Herz des Lesers.
Und Anna sowieso. Sie ist eine starke Frau, auf gewisse Weise ihrer Zeit voraus. Und doch eigentlich nicht. Denn in Kriegszeiten waren die Frauen gefragt. Als Taucherinnen, als Schweißerinnen. Und nach dem Krieg sollten die Frauen wieder an den Herd. Was viele Frauen nicht akzeptieren wollten.
Und Anna wollte es von Anfang an nicht akzeptieren.

Mich hat dieses Buch in Bezug auf Feminismus weit mehr beeindruckt als "Das weibliche Prinzip" von Meg Wolitzer. War bei Wolitzer alles gefühlt sehr theoretisch, sachlich und distanziert, so transportiert Jennifer Egan ihre ihre Botschaft über Schreibstil, sprachliche Finesse und über eine beeindruckende Geschichte.

Und das ist doch der Grund, Bücher zu lesen: In der Geschichte versinken, mit den Protagonisten mitleiden. Und dadurch neue Erkenntnisse gewinnen.

Ich habe recht lange für die Lektüre gebraucht. Zum einen, weil die Geschichte zu Beginn recht behäbig beginnt. Zum anderen, weil ich einfach länger in den Genuss des Lesens kommen wollte.

Jennifer Egan hatte mich schon mit "Die größere Teil der Welt" beeindruckt. Dieser Roman ist ganz anders konzipiert. Aber zeigt auch das großartige Talent der Autorin.