Frauenschicksale in Ost- und Westdeutschland

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
miltonia 01 Avatar

Von

Mir war vorweg nicht bekannt, dass es einen Vorgängerroman gibt, diesen gelesen zu haben ist aber aus meiner Sicht nicht unbedingt notwendig.
Der Roman beginnt mit Jana, der jüngsten der 4 Frauen, um die sich das Buch dreht. Jana bekommt Nachricht, dass in der Stasiunterlagenbehörde Informationen zu einer ihrer beiden Mütter aufgetaucht ist. Da weiß man dann schon, dass bei zwei Müttern es sich ganz offenbar nicht um eine einfache normale Familiengeschichte handeln wird.

Hauptsächlich handelt aber das Buch von ihrer Mutter Leonore. Leonore wächst als Kind in den 60er Jahren in der niedersächsischen Provinz auf, ihre Mutter Margo ist eine große Macherin, untypischerweise für diese Zeit berufstätig und sehr umtriebig, der Vater eher eine Randfigur. Leonore hat die üblichen Teenagerprobleme mit ihren Eltern, verlebt eine wilder Flower power-Zeit in London, durchleidet das WG-Leben mit anderen Studenten, die zwar gut auf Kosten des kapitalistischen Staates leben, ihn aber bis ins Innere ablehnen und sogar mehr oder minder gewaltsam bekämpfen. Nach einer sehr unschönen Erfahrung mit einem mutmaßlichen RAF-Terroristen findet Leonore ein ganz spießiges kleines Familienglück, in dem ihre Adoptivtochter Jana die absolute Hauptrolle spielt.

Dieser Teil des Buches ist sehr ausführlich und detailliert, hier merkt man, dass die Autorin sich sehr in dieses Leben hineingedacht hat und das offenbar wirklich gut kennt.

In einem 2. Buchteil wird das Leben von Clara, der Halbschwester Leonores, beschrieben und das bleibt für mich nicht nur zu viel kurz, sondern auch recht steif und holzschnittartig. Die ganze DDR-Welt wirkt da nicht wirklich lebendig und realistisch, erst als Clara als verdeckte Agentin in den Westen gerät und dort dann später auch Kontakt zur Treuhandanstalt und deren Chef bekommt, merkt man, dass die Autorin sich in diesem Bereich wieder besser auskennt und auf bekanntem Boden arbeitet.

Das Buch hat ein paar durchaus interessante Wendungen und Überraschungen, auch wenn sich der Leser manche Sachen schon während des Lesens zusammenreimt. Und gerade die Schilderungen aus der Zeit der RAF und der mit ihr sehr sympathisierenden Studentenbewegung sind sehr lebendig, realistisch und aus heutiger Sicht auch ein Stück belustigend und befremdend. Die Ängste um Umwelt, Baumsterben, Krieg, Atomkraft sind schon so uralt, sehr typisch deutsch und erreichen uns heute noch immer.
Zum Ende des Buches hin bekommt auch Jana über einige Rätsel ihres Lebens und ihrer Familie Aufklärung.

Wer sich für die Zeit des kalten Krieges bis hin zur Gegenwart in Ost- und Westdeutschland interessiert, ist mit diesem Buch gut beraten.