11.000 Meter tiefe Trauer

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petris Avatar

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Es gibt sie, diese Bücher, die einfach perfekt sind für den Moment, generell für dich als Leser*in. Marianengraben zählt für mich zu einem solchen Schatzfund. Das beginnt schon beim Cover, das ich von der Farbgebung, dem Motiv und der Typografie her einfach großartig finde. Dann der Titel, der ja eigentlich schon die Geschichte mit einem Begriff zusammenfasst, er ist einfach perfekt. Und natürlich die Geschichte, wunderschön erzählt, zwischendurch total witzig und tieftraurig. Ich habe schon lange nicht mehr so viel geheult bei einem Buch. Aber es war ein gutes Weinen, eines, das erleichtert, nach dem man sich besser fühlt. Auch sprachlich konnte mich Jasmin Schreiber völlig begeistern. Sie versteht mit Worten zu zaubern und daraus einen großartigen Roman zu machen. Dieses Buch muss man einfach lesen!
Paula, eine junge Doktorandin der Biologie, hat ihren wesentlich jüngeren Bruder Tim verloren. Er ist im Urlaub mit den Eltern ertrunken, und Paula war nicht dabei. Sie fühlt sich schuldig, ist traurig und aus der Trauer wird eine tiefe Depression.
„Gedanken sind oft so unkontrollierbar wie die Liebe, die sie auslöst. Und jetzt liebe ich dich nur noch gefangen in einer Zwischenwelt aus Präteritum und Konjunktiv und in einer Realität, die vor deinem Tod ein Leben und danach nur noch ein Zustand war.“ S. 9
Auf Anraten ihres Therapeuten, versucht sie endlich einmal, Tims Grab zu besuchen. Sie will dabei niemand treffen, also klettert sie in der Nacht über die Mauer. Der Besuch verläuft anders als erwartet, sie trifft auf Helmut, einen alten Mann, der die Urne seiner Freundin Helga ausbuddelt, um eine Mission damit zu erfüllen. Er will sie dahin bringen, wo sie vor ihrem Tod hin wollten, was leider nicht mehr gelang. Paula kommt mit auf diese Reise, eine junge, depressive Frau und ein alter, grummeliger Mann in einem klapprigen Wohnmobil. Damit beginnt eine skurrile Reise voller Traurigkeit, skurrilem Humor, Lebensweisheiten, Lachen und Weinen. Und Schritt für Schritt taucht Paula aus ihrer tiefen Trauer aus. 11.000 Meter tief fühlte sie sich ursprünglich an, so tief wie der Marianengraben. Damit ist auch das erste Kapitel überschrieben, 11.000, von Kapitel zu Kapitel wird diese Zahl kleiner. Ich finde das eine ganz wunderschöne Idee für diese Geschichte.
Der Roman hat mich zutiefst berührt, ich habe mich in vielen Abschnitten zum ersten Mal so richtig verstanden gefühlt, denn auch ich habe einen 10-jährigen Bruder verloren und ganze viele Dinge kamen mir bekannt vor, die Schuldgefühle, die Tatsache, dass für einen die Welt stehen bleibt, für alle anderen nicht, die Rolle der Eltern, die nur bedingt helfen können, weil sie mit sich selbst beschäftigt sind,…
Und der Trost, den Bücher in schweren Zeiten spenden können:
„Ein Buch in der Hand kann ein echter Rettungsanker sein – wenn die See des Lebens zu rau ist, klammert man sich an Geschichten und lässt sich von ihnen in Sicherheit bringen.“ S. 10
Ein Buch das berührt und noch lange nachwirken wird und das ich bestimmt nochmal lesen werde.