Auftauchen

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"Wenn Trauer eine Sprache wäre, hatte ich jetzt zum ersten Mal jemanden getroffen, der sie genauso flüssig sprach wie ich, nur mit einem anderen Dialekt."

Zwei Jahre ist es her, dass Paulas kleiner Bruder Tim im Familienurlaub auf tragische Weise ums Leben kam. Für Paula herrscht seitdem Stillstand. Sie ist in den 11000 Meter tiefen Marianengraben der Trauer hinabgesunken und unfähig, dort alleine wieder herauszukommen. Doch dann trifft sie nachts auf dem Friedhof Helmut, der seine Frau Helga befreit und mit ihr auf eine Reise in die Berge gehen will. Und Paula entschließt sich, ihn einfach zu begleiten.

Ein Buch über Trauer schreiben, das gleichzeitig ziemlich witzig ist, geht nicht? Oh doch! Jasmin Schreiber beweist mit "Marianengraben", dass die Kombi sogar ziemlich gut funktioniert. Die Trauer-Metaphorik ist nämlich genauso ausgereift wie der skurrile Humor, und somit durchwandert man nicht nur im szenischen Sinne Berge und Täler mit Paula und Helmut.

Es ist wirklich großartig, wie gut das Bild der Tiefsee funktioniert und wie konsequent Schreiber es einsetzt. Der Druck unter Wasser, die Düsternis, die Stille, die Einsamkeit. Und das sukzessive Auftauchen aus dieser Tiefe, schon angedeutet in den zu Beginn etwas kryptischen Überschriften - beginnend bei 11000, der Tiefe des echten Marianengrabens in Metern. Passenderweise war Tim ein Tiefseeliebhaber, ein kleiner Forscher und Entdecker, der alles wissen wollte und mit seinen 10 Jahren schon sehr klug war. Paulas Liebe zu ihm ist herzergreifend, immer wieder werden auf dem Roadtrip bewegende Erinnerungen ausgelöst, die Paulas Verlust erfahrbar machen.

Erst, als sie Helmut begegnet, wird alles irgendwie besser. Helmut ist Meister im Verlieren, er hat schon ein ganzes Leben und viele Tode hinter sich. Mit seiner verschrobenen, aber herzlichen Alt-Männer-Art gibt er Paula den nötigen Auftrieb - ohne, dass sie es zunächst merkt. Sie kann sich an ihn klammern, an seine "Expertise", sie kann endlich heulen und wüten und erkennen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, Tim zu bewahren: Sie muss weiterleben. Helmut und Paula führen viele tiefgründige Gespräche, aber genauso oft wird Quatsch geredet, bei dem einem die Tränen in die Augen steigen - vor Lachen! Wie soll man zum Beispiel nicht losprusten, wenn die beiden sich über ein Huhn unterhalten, das Paula auf der Straße aufliest, und folgender Dialog dabei herauskommt:

"Sie haben den Hund, ich habe ein Huhn, leben Sie einfach damit."
"Mein Hund ist ein Haustier, er hat auch einen Namen und alles, das kann man nicht vergleichen, so ein Schwachsinn."
"Das Huhn heißt jetzt Lutz."
"...dass Hühner weiblich sind, wissen Sie, oder? Biologin sind Sie doch? Das hier ist kein Hahn."
"Na, und?"
"Sie können das Huhn nicht Lutz nennen."
"Wenn ich nachts auf einem Friedhof einbrechen und mit Ihnen eine Verstorbene ausbuddeln kann, kann ich ja wohl auch ein Huhn Lutz nennen."

Trocken, bissig, und einfach sehr, sehr witzig - so ist Schreibers Schreibe ;) Und dabei auch noch so gefühlvoll, so eindringlich, so aufrichtig. Es ist ein Buch über Geschwisterliebe und zwischenmenschliche Zuneigung, und v.a. darüber, dass sich das Leben immer lohnt und der Tod schon noch früh genug kommt. Neben aller Trauer ist da also immer auch ein Funken Hoffnung.