Fast schon ein traurig-lustiges Roadmovie

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scarletta Avatar

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Paula, eine junge Meeresbiologin, dümpelt vor ihrer Doktorarbeit in dunklen Gewässern. Vor zwei Jahren ertrank ihr 10jähriger Bruder Tim im Urlaub mit den Eltern. Tim und Paula empfanden ihre geschwisterliche Verbindung als so intensiv und tief wie die die tiefste Stelle des Weltmeeres, der Marianengraben. Die junge Frau wird von Schuldgefühlen verfolgt, da sie an diesem Familienurlaub nicht teilgenommen hat. Die schwere Last der Trauer und Depression drückt sie nun in marianengraben-ähnliche Tiefen, 11 km unter den Meeresspiegel, hinab.

So in sich zurückgezogen traut sich Paula nur nachts, unbeobachtet von andere Menschen, ans Grab ihres Bruders – und trifft dort einen anderen Trauernden, der höchst unbefugt mit einer Schaufel auf dem Friedhof unterwegs ist. Und ehe sie sich versieht, klettert sie mit einem recht schrulligen alten Mann über Friedhofsmauern hinein in eine Art Roadmovie.
Paulas neue Begleitung, der über achtzigjährige eigenwillige Helmut, tut sich zwar ähnlich schwer mit anderen Menschen, ist dafür aber sehr direkt und harsch in seinen Reaktionen.

„Wenn Trauer eine Sprache wäre, hatte ich jetzt zum ersten Mal jemanden getroffen, der sie genau so flüssig sprach wie ich, nur mit einem anderen Dialekt.“ (S. 96)

Die Reise, die die beiden nun antreten, ist oft skurril, bewegend, aber auch sehr lustig und heiter. Sie nimmt die Leser*innen mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt.

Paula ist die Ich-Erzählerin in diesem Roman und berichtet in sehr persönlichem Ton die Ereignisse ihrem verstorbenen Bruder Tim.
An den Kapitelüberschriften kann man ablesen, wie Paula ausgehend vom Level 11.000 (also 11.000 m unter dem Meeresspiegel) beginnt, auf der Reise mit Helmut ganz allmählich aufzutauchen. Dabei ist die Geschwindigkeit unterschiedlich und auch nicht ohne einen Rückschlag.

Die beiden Trauernden nerven sich, reiben sich aneinander auf, lernen viel voneinander, und bauen sich insgeheim aber auch auf, geben sich Kraft für den weiteren Weg.

Fazit:

Die Autorin Jasmin Schreiber bringt als Sterbe- und Trauerbegleiterin schon eine Menge an Fähigkeiten und Erfahrungen mit, sich an so schwierige Themen wie Trauer und Tod wagen zu können. Gerade die Verbindung von Tod, Depression und dann Skurrilität, Heiterkeit und Humor ist eine Gratwanderung, die sie in diesem Roman angeht und gut übersteht.

Mir gefällt die Idee, dass Paula mit jedem Kapitel zahlenmäßig erlebbar mehr aus dem Marianengraben Richtung Oberfläche wieder auftaucht. So wird der Ablauf des unterdrückten Trauerprozesses auch in der Form erlebbar. Dadurch, dass sie mit ihrem vertrauten, geliebten Bruder spricht, kann man ganz tief in ihr Innerstes schauen.

Zwei kleine Punkte haben mich persönlich etwas gestört. Mir kommen am Ende doch einfach zu viele Tode durch Ertrinken vor. Das wirkt dann irgendwann abgedroschen und mindert die Kraft der Handlung. Auch die Steigerung in den Begräbnisgewohnheiten finde ich etwas übertrieben.

Ansonsten ein wirklich lesenswerter Roman, dem es gelingt ein schweres Thema auf neue Art anzugehen.