Tief unten

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Paula trauert. Paula hat ihren kleinen Bruder verloren. Tim war zehn Jahre alt und ein angehender Meeresforscher, Tiefseeexperte und Wissenschaftler. Nichts liebte er mehr als Fische, Kraken und das Meer. Ausgerechnet in letzterem sollte er dann in einem Sommerurlaub den Tod finden. Paula war nicht mitgereist, ein Rockkonzert war wichtiger. Zu ihrer bodenlosen Trauer um den innig geliebten, viel jüngeren Bruder kommen deshalb Vorwürfe und Schuldgefühle. Hätte sie ihren Bruder vor dem Ertrinken bewahren können? War Tims letzter Gedanke etwa: „Paula, rette mich!“ Jasmin Schreiber lässt in ihrem Debütroman „Marianengraben“ die junge Frau ganz allmählich aus ihrem seelischen Abgrund auftauchen. Kapitel für Kapitel, aus 1100 Metern Tiefe bis an die Oberfläche.

Paula ist Biologin, aber ihr Studium leidet unter der lähmenden Depression, in die sie Tims Tod gestürzt hat. Das ist nun zwei Jahre her, aber der Schmerz will irgendwie nicht nachlassen. Den Friedhof hat sie seit der Beerdigung nicht mehr betreten, aber Tim und seine neugierigen, wissbegierigen Fragen sind sowieso immer um sie herum. Und fremde Menschen mag sie bei ihrem Besuch am Grab nicht ertragen. Da rät ihr Therapeut, halb im Scherz, doch mal nachts auf den Friedhof zu gehen.

Tatsächlich ist Paula aber auch da nicht ganz allein. Sie trifft hier den etwas mürrischen, etwa achtzig Jahre alten Helmut, der anscheinend seine kürzlich gestorbene (Ex)Frau Helga nicht nur besuchen möchte. Für einen Grabbesuch benötigt man schließlich keine Schaufel.

Paula und Helmut, das ungleiche Paar mit den ähnlichen Gefühlen, ein Duo, das so viel trennt und doch so viel verbindet, macht sich mit dem Wohnmobil auf in die Berge, ein Versprechen einzulösen, das Helmut seiner Helga vor ihrem Tod gegeben hat.

Das geht natürlich nicht ohne Reibereien einher und eine Reise mit einem achtzigjährigen, wie sich herausstellt sehr kranken Mann gestaltet sich unter Umständen ganz schön schwierig. Aber ein solcher Roadtrip zwischen zwei so unterschiedlichen Menschen (plus Hund und schließlich Huhn) bietet natürlich Stoff für allerhand witzige und auch abenteuerliche Situationen, die in den eigentlich traurigen Text über Trauer, Abschiednehmen und Depression eine sehr schöne Leichtigkeit bringen.

Ohne allzu rührselig zu werden und einen weiten Bogen um Kitsch machend, weiß Jasmin Schreiber mit „Marianengraben“ doch tief zu berühren. Wenn Paula ihren verstorbenen Bruder direkt anspricht, wird ihre enge Verbundenheit mit ihm spürbar. Ihr wird der Weg aus der lähmenden Trauer schließlich gelingen, auch wenn er mit neuem Schmerz einhergeht. Und es gibt so etwas wie ein Happy-End. Das ist schön, warmherzig und hoffnungsvoll. Ein gelungenes Debüt!