Mystisches Barcelona

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Es ist eine merkwürdige Geschichte, die Carlos Ruiz Zafón hier erzählt. Angesiedelt in einem geisterhaften Barcelona der sechziger Jahre, durchstreift der Leser mit dem Internatsschüler Óscar Drai die schattenumwölkte Stadt zu einem verlassen wirkenden Grundstück, in deren Villa der einstige Maler Germán und dessen Tochter Marina leben. Zwischen Óscar und Marina entwickelt sich eine zaghafte Freundschaft, doch diese eher leise Geschichte ist eingebunden in eine düstere Thrillerhandlung. Denn als die beiden Jugendlichen eine in Schwarz gehüllte Frau von einem verborgenen Friedhof aus verfolgen, gelangen sie in einer verlassenes Gewächshaus, das von merkwürdigen, halb toten Figuren bevölkert wird. Dort stoßen sie auf ein Fotoalbum, in dem Aufnahmen missgestalteter Menschen gesammelt werden, und als sie dieses mitnehmen, geraten sie tiefer in einen Sumpf aus dunkler Vergangenheit, verborgenen Geheimnissen und dem allgegenwärtigen Tod, als ihnen zunächst bewusst ist.

"Marina sagte einmal zu mir, wir erinnerten uns nur an das, was nie geschehen sei."

Carlos Ruiz Zafón ist sehr gut darin, ein geisterhaftes, von Schatten und goldenem Licht durchflutetes Barcelona zu entwerfen, in dem es mehr verlassene als bewohnte Gegenden zu geben scheint und das mehr der Vergangenheit als der Gegenwart verhaftet wirkt. Vergangenheit und Erinnerungen sind ohnehin ein großes Thema dieses Romans, ebenso wie verlorene Liebe, Geheimnisse, Familie und ein schleichendes Erwachsenwerden. Alle Figuren wirken auf eine Weise verloren, wie sie einem nur das Leben antun kann, und vielleicht gerade deshalb miteinander verbunden. Eine greifbare Melancholie schwebt zwischen den Zeilen, und auch wenn man viele Zusammenhänge schon vorausahnt, bleibt die Geschichte düster und spannend. Irgendwo zwischen zeitgenössischem Roman und Thriller mit Horrorelementen angesiedelt, bereitet sie angenehme Lesestunden, weiß zu unterhalten und wirkt trotz der mitunter abstrusen Handlung auf emotionaler Ebene sehr lebensnah.

Ein schöner, wenn auch kein wahnsinnig herausragender Roman. Spannend, interessant, atmosphärisch und leicht melancholisch.