Das Marionettendasein: hängen an den Fäden in Händen eines Anderen

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Das Aktuelle dieses Romans ist sein schonungsloser Blick in die Panikreaktionen der Gesellschaft, die festgefahrenen Handlungsmuster und die einfache Schwarz-Weiß-Schematik des Freund-Feind-Denkens im so genannten „Kampf gegen den Terror“. John le Carré zeigt dies in den mechanischen Reaktionen der Geheimdienste, die um den verdächtigen in Hamburg auftauchenden Flüchtling Issa Karpow ein Interpretationskunstwerk aufhäufen. Diese Mechanismen erklären sich aus den vermeintlichen Versäumnissen der Vergangenheit, als nämlich niemand die mörderischen Pläne der Hamburger Zelle aufdeckte, die zu den Anschlägen am 11. September 2001 geführt hatten.

Gleichzeitig offenbaren die Winkelzüge, die die Behörden anstrengen, um Issa als Werkzeug gegen den schon lange verdächtigen terrorfinanzier Dr. Abdullah einsetzen zu können, die menschliche Kälte, mit der Geheimdienste die Schicksale Einzelner instrumentalisieren. Sowohl die ins Visier Genommenen als auch die Schlapphüte, die durch das Visier schauen, sind hierbei Marionetten an Handlungsfäden, die durch übergeordnete Prinzipien festgelegt werden: Sicherheit geht vor Freiheit. John le Carré führt die Kritik daran - wie in allen seinen Romanen - durch eine langsam und sorgfältig erzählte Handlung vor. Vor allem die Hauptpersonen bestechen durch eine vielschichtige Konstruktion, wobei Issa Karpow und der Privatbankier Tommy Brue hier besonders hervorstechen. Sie sind verbunden durch Schwarzgelder, die Issas sinisterer Vater in der Privatbank deponiert hatte. Beide Figuren lassen sich überdies durch ihren Vaterkonflikt parallelisieren, der letztlich auch als ein Marionettendasein beschrieben werden kann, insofern jeder Mensch an den Fäden der Verwandtschaft und Vergangenheit hängt, die ihn mit seinem Vater verbindet.

Die Handlung entwickelt sich nur langsam, so dass der Roman nicht so spannend erscheint: Issa und das Geld werden von den Hamburger Beamten Günther Bachmann und Erna Frey ins Zentrum ihrer Versuche gestellt, an Dr. Abdullah heranzukommen. Beweise seines Terrorgeschäftes sollen von Bankier Tommy Brue und der Flüchtlingsanwältin Annabel Richter beschafft werden, die sich beide gegen ihre Grundsätze hierfür einspannen lassen. Am Ende reißt dem amerikanischen Geheimdienst der Geduldsfaden, was zu einem abrupten Ende führt, das gleichwohl zum her pessimistischen Tonfall des Buchs passt. Es ist vor allem lesenswert im Hinblick darauf, wie Vorurteile Handlungsmuster auslösen können, die durch individuelle Unvoreingenommenheit vermieden werden könnten,

„Marionetten“ ist ein gutes und hintergründiges Buch, dem man Zeit geben sollte, um seine Vielschichtigkeit darlegen zu können.