Eine Geschichte wie eine Partie Schach

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schlumbergera Avatar

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Dies ist der erste Roman von John Le Carré, den ich lese, und er hat mich begeistert.
Le Carré schreibt in einer sehr klaren Sprache, rutscht dabei nie in Banalitäten ab. Seine Beschreibungen sind absolut präzise und sehr genau beobachtet, man hat die jeweiligen Situationen immer exakt vor Augen. Gut gefallen hat mir auch, dass Le Carré seine Figuren immer wieder einmal lang und ausführlich reden und von sich erzählen lässt. Diese Kapitel waren für mich die spannendsten, denn was ich hier erfahren konnte, hat mich die Motive erkennen lassen, welche diese Menschen antreiben. Langeweile kam niemals bei mir auf.
Die Geschichte um den Halb-Tschetschenen Issa ist nicht einfach gestrickt, sondern sehr verschlungen, aber am (für mich sehr schockierenden) Ende dröseln sich alle Fäden auf und ich musste, bevor ich das Buch zuklappen konnte, erst einmal tief Luft holen. Ich will nicht zu viel verraten, aber es geht um Geldwäsche, um die Schuld der Väter (in zwei völlig unterschiedlichen Variationen), um Manipulationen, falsches Spiel und um das Zusammenspiel bzw. die Konkurrenz verschiedener Geheimdienste, die vordergründig scheinbar so gut zusammenarbeiten und sich im Hintergrund kaltblütig austricksen. Man könnte die Art der Handlung mit einer Partie Schach vergleichen – die Spieler belauern sich gegenseitig, halten sich bedeckt und versuchen, in die beste Position zu kommen, um den Gegner plötzlich Matt zu setzen. Rasante Action ist also nicht das vorherrschende Gestaltungsmittel, aber wer an ausgefeilter (und hinterhältiger) Strategie Spaß hat, wird hier voll auf seine Kosten kommen.
Alle Protagonisten verfolgen im Lauf des Geschehens ihre eigenen Ziele, keiner von ihnen handelt wirklich uneigennützig. Ich habe zwar beim Lesen für einzelne Figuren Mitgefühl entwickelt, aber für keinen von ihnen echte Sympathie. Komischerweise hat mich das nicht gestört, es passte eben 100%ig zur Geschichte. Vielleicht wäre es sogar kitschig gewesen, wenn in dem kalten Umfeld ein reiner Held aufgetaucht wäre um die Welt zu retten – auch wenn es für die Seele des Lesers „schöner“ gewesen wäre.
Natürlich bleibt am Ende des Buches ein bitterer Nachgeschmack zurück, es ist kein Heile-Welt-Schluss, mit dem Le Carré den Leser konfrontiert. Das würde wohl auch gar nicht zu dieser Geschichte passen. So wie es ist, bleibt das Buch bis zum Ende glaubwürdig.
Viele Grüße von Annabas