Wenige Spione spionieren wenig Geheimes

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Nach einer Menge positiver Bewertungen zu Marionetten hatte ich mich wirklich auf die Lektüre des neuen Romans von John Le Carré gefreut. Grund zur Freude hatte ich auch als ich am Ende des Buches angekommen war. Anlass dafür war jedoch kein erschreckendes Ende, sondern ein Ende des seichten Schreckens. Damit meine Gefühlsregungen nachvollziehbar bleiben, hier die Erläuterung:

John Le Carré versteht es den Leser in ein Interessantes Setting hineinzuführen. Er bewerkstelligt dies mit interessanten Persönlichkeiten, die auf andere noch interessantere Persönlichkeiten treffen und  -  streiten.
Vorgesetzte streiten hier mit Untergebenen, Frauen mit Männern, Kinder mit Eltern und jeweils in der Gegenrichtung, verschiedene Kulturen, Religionen und Nationen wiederum in Verkörperung einzelner Protagonisten untereinander, sowie Geheimdienste und von Geheimdiensten Verfolgte gegeneinander. Streiten ist hier durchaus im Sinne von Machtkampf zu verstehen, die Kämpfe werden allerdings auch allzu häufig in Form von schlichten Wortgefechten dargebracht. So viel zum Stil des Romans.

Inhaltlich begegnen dem Leser potentielle Terroristen, Spione verschiedener Nationen, Menschenrechtler, ein Privatbankier und etliche andere Gestalten. Ein Tschetschene flieht nach diversen Gefängnisaufenthalten und Folterqualen aus seiner Heimat über Umwege nach Deutschland. Dies bleibt der einzige Schauplatz. Der Flüchtling will in Deutschland Medizin studieren und sucht als illegaler Einwanderer bei türkischen Verwandten Unterschlupf. Verschiedene Geheimdienste halten ihn für einen islamistischen Terroristen  und leiten entsprechende Maßnahmen ein, in die im Laufe der Geschichte immer mehr Personen verstrickt werden.

So interessant und tagesaktuell das Thema sein mag, so uninteressant ist es leider umgesetzt worden. Ich möchte nicht behaupten, dass der Roman schlecht ist, aber Herr Le Carré hätte einiges mehr daraus machen können. Ich werde auch das Gefühl nicht los, dass er tatsächlich einige Wendungen geplant hatte, die dann doch dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. So verwunderte mich der seitenlange Monolog des muslimischen Gelehrten Dr. Abdullah kurz vor Schluss, der nur einen Sinn haben kann, wenn das Ende des Buches ursprünglich anders aussehen sollte. Dieses ist im Übrigen keine wirklich große Überraschung und verpufft fast unbemerkt, so dass man das Buch leicht konsterniert zur Seite legt.

Die großen Konflikte, die hier quasi nur als Kulisse dienen, werden leider nur gestreift. Sinnvolle Zusammenhänge (die von Bedeutung für unsere globalisierte Welt sein könnten) werden nicht geliefert. Ein Beispiel: Warum hier manche Geheimdienste überhaupt Hand in Hand zusammen arbeiten sollten, bzw. wie die deutschen Geheimdienste eine Legitimation für ihr Handeln erhalten sollten, wird elegant verschwiegen.
Dass Terroristen, sonstige Schurken und auch einfache Verbrecher der erfolgreicheren Sorte ihr Geld international verschieben und auf diversen (Privat-) Banken parken, sollte hingegen nun wirklich keine Neuigkeit sein.

John Le Carré mag gut recherchiert haben. Allerdings wäre der Roman keinen Deut schlechter ohne diese Recherche ausgefallen. Somit bleibt ein schönes, teils spannendes Bauernstück, das nicht unbedingt aus der Masse heraus sticht, aber auch nicht arg dahinter zurücksteht.
Wer etwas Leichteres mit aktuellem Bezug sucht und nichts gegen notorische Streithähne hat, der kann dieses Buch ruhigen Gewissens erwerben.