Frauen in Landschaft - bewegend

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Kurzmeinung: Misogynie durch alle Zeiten hindurch
In dem Roman „Marschlande“ zeichnet die Autorin wie schon in ihrem Debütroman „Bergland,“ zwei, chronologisch versetzte Frauenschicksale in eine bestimmte Landschaft.
In dem Roman „Marschlande“ wendet sich Jarka Kubsova diesmal dem Deichland zu, irgendwo hinter Hamburg,. Die Landschaft ist karg, der Boden ist es nicht. Die Höfe hinter den Deichen, in den Marschen sind jedoch von Wind, Wetter und vor allem den Sturmfluten der Nordsee bedroht. Mensch und Natur. Wessen Interessen behalten die Oberhand?

Der Kommentar:
Während in dem Roman „Bergland“ die Belegschaft des zu bewirtschaftenden Innerleithofs quasi dieselbe bleibt in Vergangenheit und Gegenwart und nur die Generationen wechseln, gibt es in den Marschlanden keine organische Weiterführung eines Marschhofes.
Abelke Bleken, eine selbständige Bäuerin aus dem 16. Jahrhundert, hat keine Nachkommen. Sie führt ihren Hof alleine und vor allem erfolgreich und wird mittels der schändlichen Praxis von Aberglauben und Verleumdung der Hexerei angeklagt, enteignet, gefoltert, verbrannt. Ihr Land geht an die Deichgrafen. Missgunst, Misogynie und Neid führten zu ihrem Untergang, sowie eine Rechtsprechung, die mit Gerechtigkeit nichts am Hut hat.
Dass wirtschaftliche Interessen sowie die übliche Misogynie aller Zeiten die treibende Kraft waren an der tragischen Ermordung der Abelke Bleken, ist im Nachwort von „Marschlande“ sehr schön nachzulesen
„Frauen erlitten im Zuge des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus einen einzigartigen Prozeß sozialer Degradierung, der für das Funktionieren des Kapitalismus bis heute grundlegend ist. Sie wurden zunehmend auf Reproduktionsarbeit – also auf Kindererziehung, Kochen, Haushaltsführung – festgelegt. Und das geschah parallel zu einer vollständigen Abwertung dieser Tätigkeiten.“
Während der Roman „Bergland“ mich von vorne bis hinten faszinierte, konnte mich „Marschlande“ nicht völlig abholen. Zum einen finde ich Romane über Hexenverfolgung zutiefst anstrengend, problematisch und kaum zu ertragen, zum anderen ist der Gegenwartsstrang etwas blass. Die Stoevers, die in die Marschlande zugezogen sind, vertragen sich nicht mehr so richtig. Britta Stoever tut sich schwer mit dem Ankommen, tut sich schwer in ihrer Ehe, tut sich schwer in der Konfrontation mit ihrem zum Macho mutierenden Ehemann etc. Im Zuge ihrer Emanzipierung verfolgt sie die Geschichte der Abelke Bleken. Das ist der Zusammenhang. Das ist nicht schlecht gewählt, nur Britta selbst lässt sich erstaunlicherweise lange Zeit so ziemlich alles gefallen.
Weil die Gemeinheiten im 16. Jahrhundert und seine Brutalität schwer zu ertragen sind, ist der zweite gegenwärtige Erzählstrang durchaus auch ein Mittel, die Leser durchatmen zu lassen und ihnen eine Pause zu gönnen, aber eigenartiger Weise gehen die Themen der Zeit, - Klima, Migration, Wokeismus, etc. etc. - an den Marschländern völlig vorbei; sie beschäftigen sich immer noch mit den gängigen Rollen der Geschlechter und arbeiten sich daran ab. Leben die Marschländer hinter dem Deich oder hinter dem Mond?
Doch sowohl in dem einen wie in dem anderen Erzählstrang geht es um Misogynie, das eine Mal ganz unverholen, das zweite Mal etwas abgefedert, aber immer noch gesellschaftlich gebilligt.
Im Prinzip habe ich außer der Genderei des Nachworts kaum etwas zu kritisieren, grundsätzlich mag ich die Marschlande, ich frage mich freilich, ob diese Doppelchroniken von „Frau/en in Landschaft“ das Genre ist, auf das sich die Autorin spezialisiert. Sie macht das sehr gut, ohne Frage, doch ich würde gerne mal noch etwas anders von ihr lesen.

Fazit: Gut. Aber schwer zu ertragen wegen der Hexenprozesse. Das genderte Nachwort gibt Punktabzug. Wieder die Frage: wer gendert hier, die Autorin oder die Lektorin?

Kategorie: Historischer Roman
Verlag: S. Fischer