Die Mutter von allem - und fraglos eins der Bücher des Jahres

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mariederkrehm Avatar

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Matrix - die Mutter von allem - so hat die Autorin ihr Buch genannt, und wie man sich denken kann, musste sie sich mit diesem Titel durchsetzen, ist er doch populärkulturell zurzeit mit gänzlich anderen Assoziationen behaftet. Matrix, ein Erfolg in den USA und bereits durch seine Aufnahme in die letztjährige Bestenliste Barack Obamas geadelt, ist auch bei uns fraglos eins der Bücher des Jahres.

Lauren Groff hat die fiktive Geschichte von Marie de France aufgeschrieben, einer Dichterin des 12. Jahrhunderts, über die nur wenig bekannt ist. Auch Hildegard von Bingen war der Autorin eine Inspiration, ebenso wie Eleonore von Aquitanien. Letztere wird für Marie sowohl lebenslange Sehnsucht als auch immerschwelende Gefahr sein.

Als uneheliche Halbschwester der englischen Krone wird Marie siebzehnjährig, mit einer Mitgift und dem persönlichen Segen der Königin ausgestattet, in ein Nonnenkloster geschickt, das sie als Priorin leiten soll.

Ein hartes Los, denn das Kloster ist arm, die Nonnen hungern und werden von Krankheiten dahingerafft. Es passiert während des Morgengebets. Da entscheidet Marie - auch wegen mangelnder Alternativen -, an dem erbärmlichen Ort zu bleiben und das beste aus ihrem Schicksal zu machen.

Sie ist eine geborene Managerin. Marie beendet die Misswirtschaft, besetzt Posten um, sodass die Arbeiten jetzt nach Neigung und nicht mehr nach dem größtmöglichen persönlichen Opfer verrichtet werden, sie bringt säumige Zahler zur Raison. Ihr Organisationstalent und ihr Durchsetzungsvermögen, aber auch ihr gesunder Abstand zur christlichen Lehre, ihre moderne Interpretation der verstaubten Glaubensregeln sowie ihre individuelle Auslegung von Recht und Gerechtigkeit lassen das Kloster gedeihen und machen es zu einer wohlhabenden Stätte und Heimat für eine stetig wachsende Zahl von Frauen.

Fast fällt sie nicht auf, die komplette Abwesenheit von Männern in diesem Buch. Kein König, kein Bischof, noch nicht mal Jesus spielt eine Rolle. Ein notwendiges Übel sind sie stattdessen, das auf Abstand gehalten wird, so wie die Arbeiter im Steinbrecherlager, die ihr Werk verrichten und danach wieder gehen müssen, denn sie gefährden allein durch ihre Anwesenheit den gesellschaftlichen Frieden der Klostergemeinschaft sowie der Zinsbäuerinnen, die die klösterlichen Eigentümer bewirtschaften.

Der episodenhaft erzählte Roman liest sich in einem Zug durch. Dabei bietet er viel Erkenntnis, Inspiration und Ironie, dazu besticht er durch das Ungesagte zwischen den Zeilen.