Elektrisierend!

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lillywunder Avatar

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Was für ein wilder Ritt, dieses Buch! Es hat mich im Höhenflug aus meinen Lesegewohnheiten hinaus katapultiert und hinein in ein absurd spektakuläres Setting mit einer brillierenden Protagonistin.

Man darf es so sagen, in diesem Buch dreht sich alles um Marie. Marie wird mit 17 Jahren von ihrer verehrten Königin als ungeeignet für das höfische Leben erachtet und stattdessen als Priorin eines einsamen, armen Klosters in eine abgelegene Ecke Englands geschickt. Sie, die aus einer Familie von Kriegerinnen stammt, findet sich fortan unter Nonnen wieder. Was sie zunächst an den Rande der Verzweiflung bringt, birgt eine ungeheuerliche Entwicklung, welche das Kloster zu einem Imperium macht, mit Marie an seiner Spitze.

Marie ist in ihrer Persönlichkeit absolut vereinnahmend. Sie startet als Underdog, unterschätzt, ihren Namen muss sie sich erst erarbeiten, aber wie sie das tut. Sie wird geliebt für ihr Charisma, ihre Intelligenz, ihre Kreativität und gleichzeitig gefürchtet wegen ihres rebellischen Stolzes, ihrer unbändigen Wut. Langsam aber stetig baut Marie ihre Macht aus, sorgt für Reichtum und Besitz, spielt Schachzug um Schachzug, um den Einfluss des Klosters auszuweiten und sich der Kontrolle des Königshauses zu entziehen. Sie wird getrieben von der Frage, was sie auf dieser Welt hätte erreichen können, wenn man ihr nicht die Freiheit genommen hätte. Im einen Moment zeigt sie ihre Stärke durch Güte und Sanftmut, im nächsten durch einen ungeduldigen Schlag gegen die Krone. Sie ist Strategin, Kämpferin, großer Geist, Anführerin, Charismatikerin. Mit ihrem flammenden Willen ist sie ihren Gegnern immer einen Schritt voraus, beugt selbst die Natur, nimmt Land ein, macht es sich Untertan, denn Land ist Macht.

"Kraft ihrer Gedanken und ihrer Hände hat sie die Welt verändert. Sie hat etwas Neues hervorgebracht. Dieses Gefühl ist der Reiz des Erschaffens, und es durchzuckt sie lebendig und gefährlich (S. 169)".

Eine rein weibliche Gemeinschaft - Frauen, die kantig sind, sperrig, unbeugsam und unverhohlen. Die Nonnen betreiben Landwirtschaft, entwerfen und bauen riesige Anlagen, verkaufen ihre Veröffentlichungen, schalten ihre Feinde aus, bilden sich in Medizin weiter. Und müssen neben der Lichtgestalt Marie dennoch blass bleiben, können ihr nichts entgegensetzen, was ein kleiner Wermutstropfen für mich war. Dennoch, diese Welt hat allein Frauen als Bezugspunkte und das liest sich wunderbar, auch wenn der Stil eher Zeitraffer und Dokumentation ist und nur wenig Nähe zulässt. Für mich geht es hier nicht um "starke Frauen", wie es manchmal heißt, für mich geht es vielmehr um weibliche Ambitionen, um weibliche Macht, um weibliches Erschaffen, um weibliches Unternehmertum und das in einer Fülle, die wirklich eine Offenbarung ist.