Historische Powerfrau

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fraedherike Avatar

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England, Mitte der 12. Jahrhunderts. Nach dem Tod ihrer Mutter ist Marie eine Halbwaise; ihren Vater kennt sie nicht. Doch was sie weiß: Er war blaublütig, ein Teil der französischen Krone - und er hat ihre Mutter vergewaltigt. Mit allem, was sie hat, flieht sie an den Hof ihrer Halbschwester, Königin Eleanore von Aquitanien. Sie verehrt, hegt brennende Gefühle für sie, doch Eleanore verstößt sie: Marie sei ein Schandfleck auf ihrem Hof, so groß und ungelenk, geradezu hässlich, gänzlich ungeeignet für die Ehe und das höfische Leben. Fortan soll sie in einem abgeschiedenen, ärmlichen Kloster leben und es als Priorin leiten. Einsamkeit, Abschätzigkeit auf beiden Seiten, Fluchtgedanken. Doch je mehr Zeit Marie mit ihren Schwestern verbringt, desto entschlossener wird sie, dass sich etwas an ihren Lebensumständen ändern muss. Getrieben von Zorn und dem Wunsch um Anerkennung, und erfüllt von ihrem Glauben, will sie einen Ort erschaffen, der ihnen Unabhängigkeit und Wohlstand verschafft, an dem sie sicher sind vor Gewalt und bösen Blicken.

"Marie spürt, wie es in ihr stärker wird, und labt sich gierig daran. Und trotz ihres Gelübdes, ihres Gebets auf der furchtvollen Flucht vor dem Teufel wird ihr klar: Sie will mehr davon." (S. 169)

POV: Du bist bei einer Kostümparty eingeladen. Motto: Superheld*innen. Man reiche mir den Habit und die Holzschuhe, tonight I’ll be Marie the Matrix, coming from God’s grace and pig poo. Zornige Anführerin, loyale Freundin und talentierte Künstlerin – mit Marie de France hat Lauren Groff auf Grundlage loser, historischer Überlieferungen eine Protagonistin neu interpretiert oder viel eher erschaffen, die ihresgleichen sucht. Mit unglaublich klugen und kraftvollen Worten lässt sie die junge Frau an all den Aufgaben, die ihr das Leben stellt, wachsen, über sich hinaus und in ihre neue Rolle hinein, lässt sie ob der Macht, die sie durchströmt, in allen Facetten ihres Wesens strahlen. In eindrücklichen Bildern gewährt sie nicht nur Einblick in Maries Innerstes, ihre Kreativität, ihre Sinnlichkeit und geheimen Sehnsüchte, die sie gekonnt zu befriedigen weiß – selbst ist die Frau –, sondern zeigt auch die Dynamiken innerhalb der Schwesterngemeinschaft und in Interaktion mit der Außenwelt auf: die Entstehung von Sympathien und Antipathien, Vergeltungssucht und Neid. Und nicht zuletzt: innigster Zuneigung, Lust und Vertrauen.

Ich habe Marie in ihrer Eigenwilligkeit und ihrem Biss, für das einzustehen und zu kämpfen, was sie erreichen will, sehr liebgewonnen. Zu keinem Zeitpunkt ist sie auf ihren eigenen Vorteil aus, sondern stets das Wohl der Gemeinschaft, ihrer Schwestern und Freundinnen, bedacht. Doch es sind gerade ihre verletzlichen Momente, wenn die Einsamkeit sie übermannt, die Haut einer Aprikose sie an die zarte Berührung ihrer ehemaligen Dienerin und Freundin Cecily erinnert, sie vor Liebe übergehende Lais für Eleanore verfasst und sich im Schreiben von Fabeln verliert, in denen sie für mich am stärksten war. Denn wahre Stärke zeigt sich gewiss nicht durch Muskelkraft.

Bis zuletzt war ich gefangen in den Strahlen, der Heldinnenreise der Matrix, und der von Stefanie Jacobs sprachlich hervorragend eingefangenen Atmosphäre. Und dann: Buch zu. Aufwachen, ankommen, oh weh, es ist schon Herbst? But the books shines on and on and... Große Empfehlung!