Marie am Ende der Welt

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Inhalt
Marie ist siebzehn und seit einigen Jahren Waise. An den Hof ihres Erzeugers und dessen Frau, Eleonore von Aquitanien, passt sie nicht, daher schickt diese sie fort. In einem heruntergekommenen Kloster im Nirgendwo soll das Mädchen im Jahr 1158 versauern. Doch Marie nimmt die Herausforderung an und baut mit ihren Schwestern zusammen ein riesiges Anwesen auf. Ihre Bewunderung von Eleonore kann sie nie ganz ablegen. Sie leben in unterschiedlichen Welten, die Frauen unterschiedliche Herausforderungen abverlangen.


Meinung
Das Buch trägt einen Bestseller-Sticker und stand im Jahr 2021 auf der Leseliste von Barack Obama. Die Autorin hat sich darin auf sehr freie Art dem Leben der Marie de France angenommen, über die kaum etwas bekannt ist. Sie war die erste französische Autorin und illegitime Tochter der Plantagenets. Groff macht sie zum Produkt einer Vergewaltigung, einer kindlichen Mutter, die zudem mit ihren Schwestern wie eine Amazone lebte. Als Marie minderjährig an den Hof ihres Erzeugers gelangt, nimmt sich deren Ehefrau Eleonore ihrer an. Doch Marie ist unansehnlich, zu groß und taugt so nicht für die Ehe. Auch die historische Person der Marie de France muss am Hof gelebt und dortige Bildung erfahren haben. Auch sie wurde an ein Kloster geschickt.
Die Marie im Buch gelangt an ein baufälliges Gebäude, in dem gerade eine größere Zahl Frauen und Mädchen an einer Krankheit gestorben ist. Es ist kalt und zugig, es gibt nicht genug zu essen oder anzuziehen. Für die zu groß geratene Marie gibt es kein Bett in ihrer Größe. Zunächst versucht das Mädchen, die Liebe Eleonores zurückzugewinnen, schreibt ihr Verse und kleinere Novellen. Doch obwohl sie diese direkt zum Hof schickt, erhält sie keine Antwort. Marie begreift, dass dies nun ihr Leben sein wird.
Groff schreibt klar, aber nicht sehr tief, was jedoch absichtlich geschieht. Die Tiefe der Geschichte entsteht durch andere Mittel. Es gibt keine wörtliche Rede im gesamten Roman, daher wirkt es manchmal wie eine bloße Nacherzählung. Allerdings hat die Autorin hervorragend recherchiert und eine ausgeklügelte Story kreiert. Maries Zeit wird unheimlich lebendig. Wie stark sie und die sie umgebenden Frauen sind, wird Seite für Seite deutlicher. Allerdings wird kein Charakter so intensiv beleuchtet wie Marie, alle anderen bleiben, auch wenn sie über Jahre erwähnt werden, Statisten und Nebenfiguren, manchmal nur ein bloßer Name. Marie selbst ist nicht immer sympathisch, dazu ist sie zu ehrgeizig und mit den Jahren zu hart geworden. Sie wird kaum in Szenen gezeigt, wo sie als starke Frau zu sehen ist, stets wird nur behauptet, sie würde auch hohe Posten in der Kirche, alle männlich besetzt, dazu bringen zu tun, was sie wolle. Gezeigt wird eine Frau, die mit sich nicht im Reinen ist und mit ihren Schwestern hart ins Gericht geht. Bis sie am Ende zu weit geht und sich über alle Frauen und den ihnen zugedachten Rollen stellt.
Der Roman beginnt jedoch zunächst mit der Kindheit Maries, die nur kurz erwähnt und wenige Male später aufgegriffen wird. Die Jahre bis ins hohe Alter Maries, es beginnt bei einer Siebzehnjährigen, fließen gleichmäßig vorbei. Sie macht sich Pläne, was zu tun ist, um für alle Frauen ein gerechtes Auskommen zu schaffen. Auch die Pächter und Diener sind zu berücksichtigen. Obwohl es in dieser Zeit verpönt ist, schafft sie ein gutes Polster mit Schreibarbeiten, die allein Männern vorbehalten waren. Leider sieht man Marie zwar manchmal über Rechnungen oder Briefen sitzen, nicht aber über ihren eigenen Schriften. Das, wofür Marie de France bekannt ist – und es ist sehr wenig von und zu ihr erhalten geblieben – wird in Groffs Erzählung leider fast komplett ausgeblendet.
Die Jahre meinen es gut mit Marie und ihrem Werk, sie holt zunächst vor allem Frauen aus dem Handwerk ins Kloster. So lässt sich viel durch ihrer eigenen Hände Arbeit erledigen und neu schaffen. Obwohl die Nonnen oft an Maries hartem Willen verzweifeln, setzen sie ihre Wünsche, die sie als Visionen heimsuchen, um. Leider wirkt es in diesem letzten Teil des Buches alles etwas schwammig und überzogen, was sich jedoch überlesen lässt. Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich das Geschriebene mitunter etwas zieht, so dass ein bisschen Stehvermögen dazugehört.
Wünschenswert wäre es gewesen, wenn mehr von Eleonore zu sehen gewesen wäre. Sie wird nur sehr bedingt eingeflochten, wie eine Art Alibi, um den Roman besser vermarkten zu können. Dabei wäre es gar nicht so schlecht gewesen, das Leben zweier mächtiger Frauen quasi gegenüberzustellen. Beide mussten in einer harten Welt zurechtkommen und haben beide auf die eigene Weise einen Weg dazu gefunden. Und am Ende? Scheinen sie menschlich gescheitert zu sein, hinterlassen jedoch einiges.
„Matrix“ ist leider keiner dieser Romane, die lange nachhallen und lange im Gedächtnis verbleiben. Aber er ist anders, hervorragend recherchiert und somit allein deswegen bereits lesenswert. Es lässt sich aber leider der Gedanke nicht abschütteln, dass noch mehr drin gewesen wäre.

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