Sister, Act!

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Nein, mit den Spielfilmen der Wachowskis hat Lauren Groffs neuer Roman Matrix wirklich nichts zu tun, auch wenn das Cover mit seiner leicht psychedelischen Anmutung falsche Fährten setzt. Vielmehr hilft der Blick ins lateinische Wörterbuch, das für Matrix die Bedeutungen der Mutter, des Muttertiers und der Stammmutter ausweist. Alle diese Funktion nimmt in Groffs historischem Roman die Nonne Marie war, die zur Beginn des Hochmittelalters ein Kloster zur wirtschaftlicher Blüte führt und dem Patriachat den Kampf ansagt.

Mit diesem Roman ist Lauren Groff eine wirkliche Überraschung gelungen. Waren ihre Romane bisher in der jüngeren amerikanischen Geschichte (etwa die Flower-Power- Ära in Arcadia) oder Gegenwart angesiedelt (Licht und Zorn) und hatten stets Amerika als Schauplatz (zuletzt auch Groffs Kurzgeschichtensammlung Florida), nun bricht sie mit diesen Gepflogenheiten nun völlig.

Statt amerikanischer Gegenwart setzt Matrix nämlich im Jahr 1158 ein. Eleanore von Aquitanien verbannt Marie, eine uneheliche Schwester der Krone und schickt sie in die Einöde nach England. Dort soll sie Priorin in einem darbenden Kloster werden und so möglichst vom Thron und ihrem bisherigen, höchst annehmlichen Leben ferngehalten werden.
Sister, act!
Lauren Groff - Matrix (Cover)

Vor Ort stellt sich die Situation als katastrophal heraus. Zu Essen gibt es so gut wie nichts, Kälte und Entbehrung dominieren das Leben der wenigen Schwestern. Doch als Maries Sehnen nach der Heimat keinen Erfolg zeitigt, beschließt die junge Priorin in einem Akt der Selbstermächtigung, von nun an die Geschicke des Klosters in die eigenen Hände zu nehmen.

Beharrlich setzt sie auf neue Strategien, um das Leben der Schwestern annehmlicher zu gestalten. Vom benediktinischen Ideal des vita contemplativa hält Marie gar nichts, vielmehr strebt sie ein vita activa an.

Dabei schrickt sie auch vor Gewalt und Einschüchterung nicht zurück, um betrügerische Pachtbauern und unwillige Chorherren auf Linie zu bringen. Dank ihrer überragenden und wenig femininen Gestalt wird sie schon zu einem gefürchteten und bewunderten Mythos, der das Kloster zu neuer Blüte führt.

Sie verwandelt die Abtei in ein prosperierendes Refugium, in dem Männer keinen Zutritt haben. Visionen verheißen ihr neue Aufträge wie etwa ein riesiges Labyrinth oder ein Äbtisinnenhaus, das mit der Zeit entsteht. Doch wo Frauen Erfolg haben und sich ihrer Privilegien zu gewiss sind, da wächst auch der Hass, dem sich Marie mit ihren Nonnen immer wieder entgegenstellen muss, um ihr Kloster gegen Einflüsse von Außen zu behaupten, seien es Dorfbewohner oder der Klerus.
Eine moderne Geschichte in altem Gewand

Matrix eine moderne Geschichte im Gewand einer alten Erzählung. So sind die Themen, mit denen sich die Äbtissin Marie auseinandersetzen muss, heute genauso aktuell wie im Setting des Hochmittelalters, das Lauren Groff hier präsentiert. Neid, Missgunst und die Gefahr von Männern, denen Frauen mit zu viel Einfluss und Erfolg ein Dorn im Auge sind, die lieber kleingehalten werden sollen. Diese Themen sind nicht nur in Maries Klosterwelt stets präsent, sondern dominieren auch heute ja vielerorts den Alltag und sorgen für stete Diskussionen

Schön, dass Groff in ihrer Selbstermächtigungsgeschichte aber nicht den Fehler einer Hagiographie Maries begeht. Ihre Äbtissin ist fehlerhaft, wenig heilig, kämpft mit Worten und Taten und biegt sich auch das Wort Gottes zurecht, um sich ihrer Widersacher oder Konkurrentinnen zu entledigen. Heilig ist an Marie häufig nichts – von ihrem Begehren bis hin zu ihrem Handeln. Das schafft das plastische Bild einer widerspenstigen und kreativen Frau, die als Denkerin und Managerin des Klosters geradezu einem BWL-Seminar über Produktivitätssteigerung entsprungen sein könnte oder die Schutzheilige aller Betriebsprüfer eine gute Figur machen würde.

Mutter für die Priorinnen, Muttertiere als militante Beschützerin ihres Klosters und der Gemeinschaft von Frauen sowie Stammmutter, die für eine neue Form der Weiblichkeit steht und der das Fortleben ihres Klosters von höchster Bedeutung ist, all diese Facetten finden sich im Wesen der Matrix Marie.
Auf den Spuren der Säulen der Erde

Mit diesem Buch rückt Lauren Groff dabei natürlich auch in die Nähe des Referenztitels, was historische Schmöker angeht, die vom Kampf gegen herrschendes Unrecht und dem Streben nach Höherem erzählen. Was bei Ken Folletts Bestseller Die Säulen der Erde der Bau einer Kathedrale auf englischem Boden war, ist bei Lauren Groffs Matrix der Ausbau des Klosters, der von einer zugigen Ruine mit einer verschreckten Schar Nonnen zu einem prosperierenden und einflussreichen Wirtschaftszentrum unter weiblicher Selbstverwaltung gerät.

Neben all den erzählerischen Parallelen liegt natürlich aber auch eine entscheidende Frage auf der Hand: kann Lauren Groff dem Millionenseller von Follett literarisch die Stirn bieten? Das ist zweifelsohne der Fall, denn wo bei Follett stereotype Figuren den Roman bevölkern, die sich ganz banal in Gut-Schlecht-Kategorien einfügen, denen kaum Entwicklung zugestanden wird, so gerät die Sache bei Groff doch deutlich differenzierter und interessanter. Hier gibt es kein simples Schwarz und Weiß, sondern fehlbare Menschen, die ihr Leben im Kloster auch nicht vor Fehlern (oder meinetwegen Sünden) wie Hoffart, Lügen oder Mord schützt.

Das ist interessant geschildert und besticht trotz allem Drängen und Vorwärtsstreben Maries eben auch durch nuancierte Zeichnungen aller Figuren und Konflikte – was man bei Follett oftmals vergeblich sucht.
Fazit

Mit Matrix liefert Lauren Groff die feministische Antwort auf Ken Folletts Mittelalter-Schmöker Die Säulen der Erde – und überflügelt ihren Kollegen in meinen Augen deutlich. Ihre Beschreibung vom Kampf der Äbtissin Marie um Selbstständigkeit und den Erfolg des von ihr verwalteten Klosters besticht durch eine differenzierte Zeichnung ihrer Heldin, die sich mit einem Lob der feministischen Selbstermächtigung verbindet. Überraschend und überzeugend.