Stiller und tiefgründiger Roman

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“Sie sind heimlich wütend darüber, dass vor meinem Problem jedes ihrer eigenen Probelme verblasst”.

Mein drittes Leben von Daniela Krien ist ein stiller Roman mit viel Tiefe, der mir sehr gut gefallen hat. Anfangs bin ich gar nicht so leicht reingekommen, was vielleicht auch am Buch lag, zugegebenermaßen aber wohl eher an der Lesesituation, denn es war mein Buch für die Einschlafbegleitung. Im Nachhinein sicher nicht die beste Wahl, aber bevor ich gar nicht dazu komme, es zu lesen, lieber so. Die zweite Hälfte habe ich dann ganz bewusst an einem Stück gelesen und habe so viel intensiver eintauchen können.

Die Protagonistin Linda hat bei einem Unfall ihre 17-jährige Tochter verloren und zieht sich in der Folge komplett von ihrem Umfeld zurück. Sie zieht aufs Dorf, während ihr Mann in der Stadt bleibt, und isoliert sich von allen Freuden, fast so, als würde sie sich selbst keine Momente des Glücks mehr gönnen. Mehr und mehr reflektiert sie ihr Leben nach dem Tod der Tochter und wie sie selbst sich währenddessen verhalten hat: gegenüber ihrem Mann, den Freundinnen ihrer Tochter und auch sich selbst. Ich war teilweise überrascht, wie klar sie dabei ist und wie nüchtern sie selbst sehr emotionale Momente beschreibt. Diese Distanziertheit wird besonders deutlich, wenn sie sich selbst von außen betrachtet, in ihrer Erzählung gar in die dritte Person wechselt. Doch nach und nach nähert sie sich der Frau, die sie einmal war, wieder an, kehrt ein bisschen mehr zu sich selbst zurück.
Diese ruhige Entwicklung wird unterstützt durch eine unaufgeregte Sprache und durchaus authentische Personen. Trotz - oder vielleicht gar wegen - Lindas emotionaler Distanziertheit ergeben sich teilweise sehr tiefgründige, ehrliche Gespräche, die mich berührt haben.

Ein bisschen gehadert habe ich mit den Momenten, in denen Kinder wie Wert- oder Nutzgegenstände beschrieben werden (ich beziehe mich auf die Vergleiche mit Glücksspieler:innen und Gärtner:innen), so als ob ihre einzige Bedeutung darin liegt, wie ihre Eltern von ihnen profitieren können. Und das Ende hätte für meine Verhältnisse weniger offen sein dürfen, aber das ist einfach persönlicher Geschmack. An sich fand ich es für den Roman sehr stimmig.