Von Leid, Einsamkeit und Erlösung

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Ins Niemandsland zwischen Leben und Tod, umgeben von größtmöglicher Hässlichkeit, hat sich Daniela Kriens Protagonistin Linda geflüchtet. Das glückliche Leben der erfolgreichen Kuratorin für eine Kunststiftung zerfällt unversehens, als ihre 17jährige Tochter bei einem Fahrradunfall ums Leben kommt. „Mein drittes Leben“ ist der Roman überschrieben, und dieses Leben nach dem Tod der Tochter ist eines der Verzweiflung und Einsamkeit. Nur ein durch Tabletten ausgelöster Schlaf entführt für wenige Stunden in die Bewusstlosigkeit. Einzig Tiere, Pflanzen und die Fotografien Verstorbener können für kurze Augenblicke die Isolation durchbrechen.

In großer sprachlicher Klarheit seziert die Ich-Erzählerin die sie umgebende Welt, von der sie sich vollkommen entfremdet hat. Wie gehen die anderen, die Unversehrten, mit Lindas Leid um? Mitleid mündet ins Versichern des eigenen Glücks: Gott sei Dank hat es mich nicht getroffen. Mein Kind ist am Leben, ich habe keinen Krebs, mein Kind ist nicht behindert. So bleibt Linda nur, allein zu überleben in ihrem neuen Universum ohne Glück, ohne Leichtigkeit und ohne Zukunft.
Daniela Krien stellt die existentielle Frage nach dem Leben im Leid. Warum gelingt es ihr, die Leserinnen und Leser mitzureißen auf diesem Weg? Ein Grund ist sicher, dass sie das Leben in unserer Gesellschaft überaus realistisch beschreibt. Die Gegensätze von Stadtleben und Landleben, Ost und West, bürgerlichem Wohlstand und der Armut sozial Abgestiegener, gebildet und ungebildet, Jugendlichen und Erwachsenen – sie findet die Sprache, um pointiert, oft scharf, Abgründe zu entlarven. Und dann wieder spürt man die Herzlichkeit, mit der sie denjenigen begegnet, die die Fragilität des Lebens erfahren mussten und auf ein Wunder hoffen.

Die Autorin nimmt uns mit auf den Weg ihrer Protagonistin, die ganz langsam von einem Leben, das jeden Sinn verloren hat, zurückfindet in eine Welt, in der es Inseln der Schönheit gibt und eine Hoffnung auf Wunder. Eine Welt, in der sie selbst für andere Hoffnung sein kann. Eine Welt, in der sie die Schönheit der Natur fühlen kann und spürt, dass es genügt, einfach da zu sein.