Ernste Thematik mit guter Umsetzung

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nadinini Avatar

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Zu Beginn des Buches wird der Leser an den Arbeitsplatz von Aysel katapultiert, bei dem man direkt wahrnimmt, dass sie dort offensichtlich nicht gerade willkommen ist. Das ist einer der Punkte, die in diesem Buch perfekt dargestellt werden. Ungerechtigkeit.

Obwohl das Mädchen, dem wir folgen erst 16 ist, scheint ihr jeder die Mitschuld an etwas zu geben, wofür sie rein gar nichts kann. Als Leser kann man sich perfekt in sie einfinden und empfindet jede Situation, die für sie unangenehm ist, als ungerecht und böse. Die Menschen um sie herum erscheinen einem immer naiver und besessener von Vorurteilen.

Aysel ist eine tolle Protagonistin. Sie ist klug, sympathisch und so gut wie jeder kann sich mit ihr identifizieren. Das Problem ist natürlich, dass sie unter dem Druck leidet, der ihr ständig hinterherjagt und sie selbst absolut nichts dafür kann. Dass sie sterben will verstehe ich irgendwo, jetzt, wo ich ihre Geschichte kenne. Andererseits ist das nie ein Ausweg und in ihrem Fall musste sie einfach nur aufwachen und sehen, wie viel in ihrer eigenen Hand liegt und wie viele Menschen ihr eigentlich zur Seite stehen :)

Als sie sich in dem Internetforum umgesehen hat, hat mich das selbst erstmal aus der Bahn geworfen und ich wusste, dass sie jemanden finden würde. Allerdings war mir auch von Anfang an klar, dass es Komplikationen geben MUSS. Ohne wäre Aysel nicht Aysel und hätte wohl auch nie zu dem gefunden, wofür sie sich entschieden hat.

Würde ich euch jetzt sagen was genau bei ihr passiert ist und was es mit all dem auf sich hat, würde ich euch das Ende verraten. Ich würde euch Sachen vorwegnehmen, die ihr einfach selbst lesen solltet und die in ihren Worten eine, wie ich finde, richtig gefühlvolle und traurige Welle mitbringen.
Deshalb möchte ich nicht sagen, welche Geheimnisse es hier gibt und was alles passiert und fasse mich eher objektiv.

Als Aysel Roman kennengelernt hat, habe ich sofort verstanden, dass er eine Wirkung auf sie hatte, die sie nicht kannte. Er hat ihr einfach immer zugehört, selbst wenn er sauer war und ich hatte während des Lesens immer das Gefühl Aysel selbst zu sein. Ich konnte sie absolut verstehen und ihre Gedankengänge und Handlungen nachvollziehen. Als Roman dazukam, wurde auch für den Leser alles nach und nach bunter und man hat wirklich Vertrauen aufgebaut, wobei mir Roman zwischenzeitlich immer mal wieder etwas unbekannt vorkam. Man hat ihn zwar kennengelernt aber er hat sich im einen Moment total frech verhalten, mit Dingen und kleinen "Wutanfällen" um sich geworfen, und im anderen war er der liebste Mensch auf Erden. Also habe ich zu Aysel eine wesentlich stärkere Bindung aufbauen können als zu Roman, der einem aber auch ans Herz wachsen konnte und man die beiden auf jeden Fall als Einheit betrachtet :)

Letztendlich denke ich, dass sowohl Aysel als auch Roman einfach nur angst hatten. Sie dachten, dass sie den anderen verlieren würden und damit den Partner zum Sterben abgeben müssten. Insgeheim war die Angst aber eher, dass sie die Person an sich verlieren würden und nicht die Tat, die sie mit dem anderen vorhatten. Und ich denke das ist auch die Message, die jedem schon am Anfang klar ist, am Ende aber auch für uns ein Punkt ist, der uns zeigen soll, dass wir nie allein sind, auch wenn es uns so vorkommt.Bis die beiden das erkennen, müssen aber nicht nur die Figuren im Buch sondern auch wir selbst leiden.

"Er ist nicht mehr der Mensch mit dem ich sterben möchte; er ist der Mensch, mit dem ich leben will." (S.292)


Natürlich gab es auch Nebencharaktere, wie die Eltern, Geschwister oder Captain Nemo, die alle ein super Gesamtbild ergeben haben und tatsächlich wieder alle einen eigenen Kopf und Willen hatten :) Das fand ich hier auf jeden Fall positiv und auch wichtig!
Was mich jetzt noch etwa stört ist, dass ich nach wie vor nicht einmal den Vater von Aysel vor Augen bekommen habe und sie in dem Buch auch nicht mit ihm gesprochen hat. Da hätte ich mir doch schon noch ein paar Seiten mehr zu gewünscht.
Was mir auch fehlte war das befreiende Gespräch mit den Eltern von Roman und eine eventuelle Aussöhnung mit Georgia, Aysels Halbschwester. Auch wenn die beiden sich nie gestritten haben, hätte ich es irgendwo wichtig gefunden, dass sie sich in die Arme schließen würden und eine harte Situation miteinander teilen, denn das wurde hier ja zwischenzeitlich mal genannt.
Ansonsten ist das Buch einfach toll!


Fazit:
Dieses Buch hat mir, so komisch es sich auch anhören mag, wunderschöne und entspannende Lesestunden beschert, die ich nicht missen möchte! Jeder kann hier eine Lektion mitnehmen und sieht nach dem Lesen vielleicht auch einige Dinge anders.
Aysel und Roman wurden beide gut dargestellt und gerade mit Aysel konnte ich mich super identifizieren! Je mehr man erfahren hat und die Protagonisten kennenlernte, umso mehr wollte man weiterlesen und wissen, wie die Entscheidung ausfällt. Die Gefühle waren hier mal Trauer, mal absolute Dunkelheit und manchmal sogar ein Funken Licht. Für mich war das die perfekte Mischung und ich habe Aysel und Roman, sowie einige Nebencharaktere sehr lieb gewonnen.
Was mir fehlte waren eben die ein oder anderen Details, die ich mir ausgeprägter gewünscht hätte und die man wirklich noch hätte einbauen können. Außerdem hat mich Roman manchmal total mit der ein oder anderen Aussage verwirrt.
Daher gebe ich diesem wundervollen Buch 4,5 Leseschmetterlinge!