Portrait eines Jahrhundertsportlers

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Eine Flamme brennt sehr heiß und sehr hell bevor sie erlischt. Svens innere Flamme für das Skispringen und Skifliegen brannte mehr als 20 Jahre. Zwanzig Jahre in denen sein Leben den festen Wettkampfregeln unterworfen wurde. Ein sehr intimes Portrait eines Jahrhundertsportlers.
Angefangen von seiner Kindheit in Johanngeorgenstadt, der Talentsichtung (als „Kind“ der DDR habe ich dieses Prozedere ebenfalls kennengelernt), über die Jugendzeit in Klingenthal, die Wendezeit im Schwarzwald und sein sportliches Leben in Hinterzarten.
Sven Hannawald beschreibt nicht nur seine Erkrankung sondern setzt sich sehr mit der Sportart Skispringen auseinander und somit den Leser ins Bild über Techniken, Materialauswahl, Sprungtechnik etc. Zeitzeugen: Eltern, Trainer und Sportkameraden werden nicht nur erwähnt, sondern sie kommen vereinzelt auch zu Wort. Das zusammen mit Hannawalds Lebensgeschichte bildet einen sehr interessanten Einblick in die Welt der „Adler“.
Viel Neues gab es für mich, als am Skispringen Interessierte, z. Bsp. wusste ich bis dato nicht das Martin Schmitt einen Bruder hat, der früher Nordischer Kombinierer war, oder das der Autor mit Jens Weißflog nicht so gut konnte.
Beachtlich ist die schriftliche Aufarbeitung seiner Krankheit, die vor zehn Jahren begann. Dabei klagt er nicht an, er rechnet nicht ab, obwohl ich bei einigen Passagen hellhörig wurde. Betroffen machte mich (ganz im Gegensatz zur Psychotherapeutin) seine früher Einzug in die Kinderkrippe nicht, da mussten wir schließlich alle durch, manche sogar schon mit sechs Wochen, nein, erschreckend für mich war die Distanz der Eltern nach der Wendezeit. Sie bekamen gar nicht mit, das der junge Sportler an einem Gemisch aus Heimweh und Bindungslosigkeit litt und nur durch einen glücklichen Zufall eine „Ersatzmutter“ fand und daraus schlussfolgernd seine sportliche Einmaligkeit wiederfand. Ich glaube als Mutter wäre mir das Herz gebrochen, hätte ich so wie Svens Vater bei einem Wettkampf mitbekommen dass es jemanden so wichtiges im Leben meines Sohnes gibt. Auch erfolgt nur in winzigen versteckten Portionen eine kleine Kritik an der Berichterstattung der verschiedensten Medien. Ein Aspekt der nicht zu verachten ist, der Druck der auf (vielen) Sportlern lastet, so im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen ist mehr als enorm. Vielleicht sollte die deutsche Presse dieses Buch als Anlass nehmen, die Tragweite ihrer Kritik auch vorher zu überdenken. Jedoch ist es eine Summe von vielen, vielen kleinen und größeren Dingen, die eine Überforderung und schlussendlich einen totalen Kollaps verursachen. Erschreckend ist da als Erstes der Kampf ums Gewicht zu nennen aber auch die riesen Portion Perfektionismus, und das verbieten von Freude und Genuss. All das erzählt der Co-Autor in einem flüssigen leicht verständlichen Schreibstil.
Das Buch an sich ist ein eigentliches Schmuckstück, es ist fest eingebunden, die Seiten sind auf hochwertigem Papier, es bringt einen Hauch Enzyklopädie-Geruch mit sich und ist mit zahlreichen Fotos aus allen Lebensabschnitten des Sportlers bebildert.
Ich freue mich über die Genesung des Sportlers. Er wird in der Welt des Skisprungzirkus einer der Größten bleiben.