Unbedingt lesen!

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throughmistymarches Avatar

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607 Seiten. Als ich das Buch zugeschickt bekam, dachte ich, das ist ein ganz schöner Brocken und ich werde wohl eine Weile dran sitzen. In zwei Tagen hatte ich es durch. Ich habe sogar eine Nachtschicht eingelegt, weil ich es einfach nicht weglegen konnte und seit letzten Sommer mein Frühaufsteher-Hundebaby eingezogen ist, habe ich nicht mal am Wochenende nachts länger gelesen. Aber die Geschichte, die dieser autobiografische Roman der niederländischen Autorin Judith Visser erzählt, hat mich einfach zu sehr gefesselt und berührt. Man kann es ganz kurz zusammenfassen: der Leser begleitet Jasmijn beim Erwachsenwerden. Von 4 bis Anfang 20, typischer Coming-of-Age Roman. Es gibt nur eine Sache, die Jasmijn und ihre Familie nicht wissen: sie ist Autistin. Oder vielleicht weiß sie es insgeheim sogar, sie hat nur keinen Begriff dafür, dass bei ihr die Dinge nicht so sind, wie die meisten anderen es als „normal“ empfinden. (Aber was ist schon „normal“?) Judith Visser, bei der selbst erst im Erwachsenenalter Autismus diagnostiziert wurde, schreibt mit so viel Liebe zu Detail, dass man sich regelrecht hinein katapultiert fühlt in Jasmijns Kopf. Ihre Gedankengänge und Szenarien, die sie sich ausmalt, laufen wie ein Film vor einem ab; das Gefühlschaos, das sie durchlebt, nimmt einen mit, berührt. Mir kam vieles davon bekannt vor, da mein älterer Bruder eine geistige Behinderung hat und ich seit über 12 Jahren im Inklussionsport engagiert bin und daher auch einige Menschen kenne, die das Asperger-Syndrom in verschiedenster Ausprägung haben. „Anderssein“ gehört bei mir zum „normalen“ Alltag. Ich weiß, zu welchen Leistungen Menschen mit „special needs“ (ich mag die englische Formulierung sehr und finde es schwer, sie adäquat zu übersetzen) fähig sind, wenn man sie fördert, statt sie in Schubladen zu zwängen und hofft, dass sie irgendwann sind wie alle anderen, wenn man sich nur an einen Umstand gewöhnt. Das ist etwas, womit auch Jasmijn sehr hadert, die Frage, warum sie sich immer an alles gewöhnen soll, nur weil es angeblich die Norm ist. Ein unglaublich berührender Roman und absolute Leseempfehlung.