Gute Ideen zu einem anspruchsvollen Thema mäßig umgesetzt

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Tess hat das Gefühl, dass ihr die Kontrolle über ihr Leben entgleitet. Ihr Freund Jonah, den sie nur einmal getroffen hat, in den sie aber verliebt war, hat sich das Leben genommen. Durch ihre Kommunikation über soziale Netzwerke war er ein wichtiger Teil ihres Lebens und jetzt, wo er weg ist, weiß sie nicht anders mit ihrer Trauer umzugehen als ihm einfach weiterhin zu schreiben, was sie fühlt. Trotzdem geht es mit ihrem Leben bergab, sie schmeißt die Schule und zieht zu ihrem unzuverlässigen Vater, der mit den Problemen seiner Tochter überfordert ist. Auch ihre Mutter beschäftigt sich lieber mit Yoga und ihrem Liebhaber in Indien, anstatt für ihre Tochter da zu sein und so ist Tess ganz alleine – bis sie plötzlich wieder eine Nachricht von Jonah bekommt…

Das Buch springt durch das in seiner Schlichtheit irgendwie auffällige Cover ins Auge. Es ist ein Cover, das mir erst auf den zweiten Blick gefiel: Was zunächst nach Glitzer aussieht, sind in Wahrheit funkelnde Sterne.

Der Autor bemüht sich sehr, authentische Figuren zu erschaffen. Mir kommt es nur so vor, als würden gerade solche Bemühungen oft eher das Gegenteil erreichen, zumindest wirkte Tess auf mich wie der Stereotyp eines traurigen Mädchens, das sich aus verschiedenen Gründen nicht anpassen kann und will und keine richtige Verbindung zu anderen Menschen aufbauen kann. Stattdessen gibt sie sich betont cool und selbstironisch – aber wer kann es ihr verübeln? Es ist ja niemand da, mit dem sie reden kann. Ich vermute, dass sich trotzdem die eine oder andere gut mit Tess wird identifizieren können. Es gibt eine große Subkultur von desillusionierten jungen Menschen, die sich Online wohler fühlen als im echten Leben; dieses Buch erforscht allerdings nicht wirklich, warum das so ist oder was man daran ändern könnte.

Die Ich-Perspektive ist für dieses Buch eine gute Wahl, auch wenn Tess hin und wieder abschweift und das am Anfang zu einigen verwirrenden Zeit- und Gedankensprüngen fühlt. Insgesamt ist es dem Autor sehr gut gelungen, den Ton und Humor vieler Jugendlicher einzufangen, zahlreiche Verweise auf Internet- und Popkultur machen die Erzählweise weitaus authentischer als es die Charaktere sind. Diese treffen nämlich im Verlauf des Buches immer wieder so impulsive und chaotische Entscheidungen, als hätte der Autor gewürfelt, was als nächstes passieren soll. Ich glaube, dass der Autor auf der Jagd nach dem Besonderen ein bisschen das Allgemeine, das Authentische aus dem Blick verloren hat. Das ist schade, denn das Buch enthält viele interessante tiefgründige Gedanken zum Tod und dem Umgang damit, zu angemessenen und unangemessenen Beerdigungen und Trauerriten, zum Respekt vor den Verstorbenen. Leider fehlt aber die große Offenbarung am Ende und die Geschichte fühlt sich unvollkommen an. Das könnte man natürlich als Botschaft interpretieren, die im Einklang mit dem Titel steht. Dazu wirkt der finale Abschied von Jonah aber überzogen, was angesichts des ernsten Themas, mit dem sich das Buch befasst, unangemessen ist.

Insgesamt simuliert "Mein Leben oder ein Haufen unvollkommener Momente" eine Tiefe, die es leider nicht erreicht. Das anspruchsvolle Thema und die wenig gelungene Umsetzung gleichen sich aus und das Ergebnis ist eine solide, durchschnittliche Lektüre.